KKZ: Kapitel 15 – 21

Kapitel 15 – Der Krieger des Meeres
Kapitel 16 – Aus Gintas Erinnerungen
Kapitel 17 – Vernezye, Hafen des Glücks
Kapitel 18 – Stürmendes Meer
Kapitel 19 – Myus Aufstand
Kapitel 20 – Hafenstadt Saihyô, Schnee und Berge
Kapitel 21 – Endloser Schneefall am Fuße des Shimorita


Kapitel 15 – Der Krieger des Meeres

Nach Verlassen des zerstörten Dorfes liefen die drei Freunde weiter die Küste entlang. Die große, schroffe Küste ebnete sich, und wurde zum Strand. Es war zwar nicht mehr weit bis nach Vernezye, aber Oto war so vom Meer, dessen Geruch und dessen Erscheinung begeistert, da konnte sie nicht anders, als unbedingt hier zu bleiben.
„Schaut euch mal das riesige Meer an! Wie es funkelt… Können wir nicht hier eine Pause machen?“, bat sie mit einem Hundeblick.
„Die letzten Tage waren schon anstrengend“ , erwähnte Ginta.
„Und einen Tag Pause machen…“, fuhr Ryoma fort, „das ist doch nicht schlimm.“
„Vielen Dank, Jungs!“ Oto war immer noch so begeistert, da gab sie jedem der zwei einen Kuss auf die Wange. Ryoma rieb sich diese verwundert, machte funkelnde Augen und behauptete: „Oto, du liebst mich doch!“
Daraufhin hatte er aber eine Kopfnuss von Oto eingesteckt.
„Sie hat mir doch auch einen gegeben…“, sagte Ginta mit einem ironischen Unterton.
„Nun gut, Jungs! Ihr baut hier unser Lager auf, ich zieh mich um und spring gleich ins Wasser!“
Doch bevor die zwei irgendetwas hätten erwidern können, sprang sie schon hinter die nächsten Büsche und zog sich um. Das Einzige, was man jetzt noch von ihr hören konnte, war: „Uh ja! Genau deswegen habe ich meinen Bikini eingepackt.“
Verwundert hörte Ryoma zu und sagte zu Ginta: „Ich versteh einfach nicht, was sie an dem Wasser so liebt, das ist nass und Unterwasser kann man nicht atmen.“
„Lass sie doch, wenn sie ihren Spaß hat. Ich finde es aber auch echt schön. War schon lange nicht mehr an einem Strand gewesen. Also wenn du mich entschuldigst…“, antwortete Ginta und verschwand auch hinter einem Busch, um sich umzuziehen.
„Hey, verlass mich du nicht auch noch!“, rief Ryoma, der nun alleine am Lager stand.
„Du hast doch noch Myu!“, entgegnete Ginta, der schon zum Wasser ging.
„Myu? Ah… Da bist du ja…“, sagte Ryoma, der Myu auf Gintas Decke liegen sah.
„Auch keine Lust auf Baden? Mmh… Du bist ja auch eine Katze…“, sagte er und versuchte sie zu streicheln, woraufhin Myu ihn böse ansah und auf seine Brust sprang. Sie zerkratzte ihm das Gesicht und als sie fertig war, kuschelte sie sich wieder in Gintas Decke. Währenddessen stand Ginta schon mit den Knöcheln im Wasser und Oto neben ihm.
„Schicke Badehose…“, sagte sie und grinste.
„Ehm…“ Er wurde rot.  „Du schaust in dem Bikini aber auch hübsch aus.“
„Danke…“, fügte sie hinzu, „Wollen wir ins Wasser springen?“
„Gerne doch!“
Sie hielten gegenseitig ihre Hände, gingen wenige Schritte zurück und sprangen dann zusammen ins Wasser. Ryoma hielt eine kleines Nickerchen und Myu tat es ihm gleich.
Nach ein paar Stunden wachte er wieder auf und sah Oto und Ginta immer noch im Wasser schwimmen. Er gähnte genüsslich, streckte seine Arme aus und berührte Myu, die daraufhin auch aufwachte. Sie war aber gar nicht erfreut darüber und sprang Ryoma wieder auf die Brust. Als sie aber ihm das Gesicht zerkratzen wollte, packte Ginta sie plötzlich am Hals und legte sie sanft auf die Decke.
„Hör auf, Ryomas Gesicht immer zu zerkratzen… Und du, Ryoma, nerv sie nicht immer! Ihr müsst endlich miteinander klarkommen!“, schimpfte Ginta. Dann legte er sich auf seine Decke und trocknete sich in den letzten Sonnenstrahlen. Er wollte seinem Freund gar nicht zuhören, wie er sich über die Katze beschwerte, sondern genoss den Ausblick auf das Meer und die untergehende Sonne, die alles in die Farben Rot, Orange und Violett tauchte. Ginta erinnerte sich schlagartig an den letzten Urlaub, den er mit seinen  Eltern, seiner Großmutter und Sora verbracht hatte. Sie verbrachten ihn am Meer. Leider wusste Ginta nicht mehr, wo genau das gewesen war. Auf jeden Fall, erinnerte er sich an diesen einen Abend. Alle waren spazieren gegangen, den Strand entlang und als die Sonne unterging, wurden das Wasser, der Himmel und der Strand genauso in diese Farben getaucht. Nun kam auch Oto aus dem Wasser und trocknete sich ab.
„Oh… Ihr habt ja schon Feuer gemacht! Das ist aber lieb…“
„Das mach ich doch gerne, liebe Otochen!“, freute sich Ryoma.
Nach einer Weile war es schon dunkel, sie hatten gegessen und Oto und Ginta hatten sich auch schon längst wieder umgezogen.  Viele kleine Sterne waren am Himmel zu sehen und plötzlich erkannte Oto ein Boot, das genau vor ihrem Lager den Anker lichtete.
„Wer kann das nur sein?“, wunderte sich Ginta. Die Person kam näher und im Schimmer des Feuers konnte man einen jungen Mann erkennen. Er trug nur eine Hose und Sandalen, hatte schwarzes, schulterlanges Haar, das er zu einem Zopf zusammengebunden hatte.
„Was macht ihr da!?“, beschwerte er sich. Er hatte eine nicht allzu tiefe Stimme.
„Wir übernachten hier…“, warf Ryoma zurück.
„Aber das ist mein Platz! Habt ihr das ‚X’ auf dem Boden denn nicht gesehen!?“
„Ich hatte gedacht…“, sagte Ryoma, „Das ist ein ‚X’-tra Platz für ein Lagerfeuer!“
„Streiten nützt doch jetzt auch nichts… Dann lasst mich wenigstens mit an eurem Lagerfeuer sitzen… Darf ich mich vorstellen? Ama Enshû, mein Name…“
Die drei waren ganz verwundert, wieso er plötzlich so friedlich war. Er musste in die drei auch ein großes Vertrauen haben, denn niemand Fremdes würde sich einfach so hinzusetzten. Erwartungsvoll sah Ama in die Runde, und erwartete wohl, dass irgendeiner anfing.
„Ehm…“, fing Ginta an, „Mein Name ist Ginta Sabekaze… Und das sind Oto, Ryoma, und unsere Katze Myu…“
Als Ama den Namen Oto hörte, schaute er sie an und sagte: „Schön, deine Bekanntschaft zu machen.“
Ganz überrascht schaute sie ihn auch an und stotterte: „Mich… freut… es auch.“
Vertrauenswürdig fragte er dann weiter: „Was macht ihr hier so?“
„Wir reisen nach Vernezye…“, fügte Ryoma hinzu.
„Sicherlich eine schöne Stadt… War noch nie dort… Nun ja… Ich war gerade draußen auf dem Meer.“
Ginta blieb still sitzen und hörte dem Gespräch zu. Ein eigenartiges Gefühl fuhr durch seinen Körper und er merkte auch, wie sein Amulett etwas reagierte. Oto hingegen konnte ihren Blick nicht von Ama lassen. Sein ganzer Oberkörper war mit Narben versehen, auch seine Oberarme.
„Wenn ich mal fragen darf… Woher hast du diese großen Narben? Ich weiß… Das ist ein wenig zu persönlich… aber…“
„Ach… Das kommt von gelegentlichen Kämpfen mit Meerestieren“, er lächelte sie an und lachte dann.
„Mit Meerestieren? Bist du etwa Fischer?“, erkundigte sich Oto.
„Ja. Aber ich verdiene damit nicht mein Geld…“
Ginta verließ dieses Gefühl nicht und er erkannte, dass Ama eine besondere Person war. Seine Aura war gutmütig, was auch dadurch bewiesen wurde, dass er sich den dreien so schnell anvertraute. Es war schon fast komisch, so schnell das Vertrauen eines Fremden zu bekommen, wenn es nicht noch komischer war, dass es keinem Auffiel.
„Also fängst du nur das, was du auch isst?“, fragte Ginta vorsichtig.
Er lies erstmal einen großen Seufzer los und fing an: „Ihr scheint mir echt nette Menschen zu sein, so was kann ich spüren… Nun ja… Ihr müsst wissen… Eigentlich fahre ich jeden Tag aufs Meer hinaus, weil ich meine Eltern suche, die ich bei einem großen Sturm verloren habe…“
Zunächst fuhr ein Staunen durch Ginta, Oto und Ryoma.
„Ich kann das gut verstehen“, durchbrach Ginta die Stille, „Ich habe meine Eltern auch verloren. Aber leider kann ich nicht nach ihnen Suchen. Du findest sie bestimmt!“
„Oh… danke“, meine Ama und schweifte dann komplett ab, „Was wollt ihr eigentlich in Vernezye?“
Ginta beugte sich zu Oto, die neben ihr saß, und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, das Gleiche tat er bei Ryoma. Ama schaute nur verwundert zu.
„Also… Weißt du… In Wirklichkeit ist das so…“, Ginta fing an, alles zu erzählen, denn er verlor das Gefühl nicht, dass Ama eine besondere Person war. Erschrocken wich Ama zurück und meinte: „DAS ist gut zu verstehen! Du bist arm dran… Du hast es gut, du kannst dich für deine Eltern rächen, ihnen den ewigen Frieden geben… Ich jedoch kann nur täglich hinausfahren und sie suchen, mit der Hoffnung, dass sie noch leben… Und von dieser Organisation habe ich auch noch nie etwas gehört…“
Sie unterhielten sich noch den restlichen Abend und legten sich gemeinsam schlafen. Mitten in der Nacht wachte Ginta auf, setzte sich hin und schaute auf die anderen. Oto war nicht zu entdecken und er schaute sich um. Er konnte jemand am Wasser entdecken. Das Funkeln der Sterne spiegelte sich in der Wasseroberfläche und es schien so, als würde die Person leuchten. Durch das Leuchten sah Oto ganz plötzlich ganz anders aus. Ginta war aber so schläfrig, dass er sich gleich wieder hinlegte und weiterschlief.


Kapitel 16 – Aus Gintas Erinnerungen

Ginta lief fröhlich und gut gelaunt die Stufen bis zum Hof hinauf. Als er seine Großmutter sah, stellte er seinen Schulranzen in die Ecke.
„Großmutter! Rate mal, was heute los ist!“, rief der kleine Ginta. Lächelnd stützte sie sich auf den Besen und fragte: „Was war denn los?“
„Wir haben heute keine Hausaufgaben aufbekommen!“, sagte er stolz.
„Das ist aber schön.“ Sie nahm den Besen wieder in die Hand und fegte weiter.
„Weißt du was, Großmutter?“
„Nein…“, antwortete sie mit liebevoller Stimme.
„Ich darf doch heute bei Sora übernachten, das wird soooo super! Wir werden Comics lesen und was spielen und…“ 
Er rannte in den Schuppen, holte sich dann auch einen Besen und fuhr fort: „…darum kann ich dir heute nur ein wenig helfen.“
Mit dem Besen, der größer war als er selbst, versuchte er nun, blitzschnell den Hof zu kehren.
„Ruh dich doch ein wenig aus. Du hast dir auch mal eine Pause verdient.“, schlug er grinsend vor und fegte weiter.
„Wenn du das so sagst…“ Sie setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Schuppen stand.
Der Hof war groß. Im Osten stand der Himmelsschrein, der jeden Morgen von der aufgehenden Sonne angestrahlt wurde. Im Westen, genau gegenüber, stand das Wohnhaus. Im Norden ging dann der Hof zu Ende und im Süden waren die Stufen, die einen zu einer Nebenstraße führten.
„Du sag mal, Großmutter… Sind Mami und Papi noch da?“
„Sie warten nur darauf, dir tschüss zu sagen…“
Ginta warf gleich den Besen auf den Boden und rannte ins Haus. Er macht die Tür zur Küche auf, in der noch seine Eltern waren. Sein Vater nahm noch einen kräftigen Schluck Wasser.
„Ginta, da bist du ja… Wie war die Schule?“, fragte seine Mutter, die sich zu ihm hin beugte. Ihre großen, grünen Augen sahen ihn an. Er mochte ihren Blick. In ihren Augen war immer ein bestimmter Glanz, der ihn immer an schöne Sachen erinnerte.
„Wir haben heute keine Hausaufgaben auf!“, schoss es aus ihm heraus und er grinste wieder.
„Du kannst von Glück reden, dass heute Freitag ist…“, sagte sein Vater und wuschelte ihm durch die Haare.
„Ihr wisst ja, dass ich heute bei Sora übernachten darf, nicht wahr?“
„Klar. Aber du musst schön brav sein, bei den Machichimas… Okay?“
„Geht klar, Paps!“
Sein Vater hatte, genau wie er, weiße Haare, die aber im Licht grau schimmerten. Seine Mutter hingegen hatte langes, rot-braunes Haar.
„Also… Schön brav sein, ich hab dich lieb, bis morgen…“, sagte seine Mutter und verschwand zusammen mit seinem Vater aus der Küche.
„Tschüss! Viel Spaß bei der Arbeit!“, rief Ginta noch hinterher.
Nachdem er seinen Schulranzen aufgeräumt hatte, den Hof fertig gefegt und dann noch zu Mittag gegessen hatte, packte er nun die Sachen für den Abend ein. Nach einer Weile war er schon fast fertig, ging die Treppen hinunter, öffnete die Tür zur Küche und sagte: „Großmutter… Ich brauch deine Hilfe…“
Dass er dabei nicht rot wurde, war ein Wunder. Er fuhr fort: „… Ich schaffe es nicht, die Sachen in den Rucksack zu packen…“
„Nun gut… Dann werde ich dir mal helfen…“, seufzte seine Großmutter, stand auf und lief die Treppe nach oben.
Nach einer Weile war auch der Rucksack gepackt.
„Vielen Dank!“, bedankte er sich und verbeugte sich.
„Du bist schon einer…“, sagte sie lächelte ihn an, und ging wieder nach unten.
Er setzte sich auf sein Bett und wartete ab, bis es klingelte. Nach zehn Minuten war es auch schon soweit. Er nahm seinen Rucksack, stürmte aus dem Zimmer und verabschiedete sich noch schnell von seiner Großmutter. Vor der Tür stand auch schon Sora, die ihn mit dem Fahrrad abholte.
„Bist du bereit?“, fragte sie und wurde ein wenig rot im Gesicht.
„Klaro!“, gab er als Antwort, rannte zum Schuppen und holte sein Fahrrad heraus.
Auch er stieg nun auf sein Fahrrad und beide radelten zu Soras Haus. Als sie ankamen, stellten sie ihre Fahrräder in deren Schuppen und gingen ins Haus. Mittlerweile war es schon Abend geworden und Soras Mutter rief zum Essen. Sie unterhielten sich noch ein wenig, aber dann verschwanden die Beiden wieder in Soras Zimmer. Der weitere Abend verlief ganz normal. Die beiden spielten, erzählten sich etwas und hörten Musik. Als die Nacht anbrach, fing es an, mächtig zu stürmen. Dicke Regentropfen schlugen gegen das Fenster. Es wurde leise. Alle Lichter gingen aus, und Sora kuschelte sich neben Ginta unter eine Decke. Die beiden saßen auf ihrem Bett. Sie wurde ganz rot, als sie ihren Kopf gegen Gintas Arm legte. Ginta merkte das aber nicht, sondern machte sich eher Gedanken, über seine Eltern, die immer noch unterwegs sein mussten. Es blitzte und Sora kuschelte sich noch ein wenig enger an Ginta. ‚Sora…’, dachte sich Ginta, ‚Sie…’ Es blitzte wieder und Sora klammerte sich richtig an Ginta. ‚Hat sie Angst vor Stürmen?’ Er blickte sie an. Sie hatte ihre Augen geschlossen und zitterte ein wenig.
„Sora…“, flüsterte er.
Sie schaute zu ihm hinauf. Er konnte ihren Herzschlag spüren und auch sein Herz fing plötzlich an, heftig zu schlagen. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ständig musste er sie ansehen. Sie schloss ihre Augen und kam Ginta immer näher. Dann passierte es: sie küsste Ginta. Zunächst schluckte er noch vor Schreck, ließ seine Gedanken dann aber schweifen. In diesem Moment konnte er nur wenige Sachen spüren: ihren leichten Atem, ihre Lippen und den synchronen Herzschlag. Jetzt wusste er gar nicht mehr, was geschah. Doch nach kurzer Zeit – der Kuss dauerte wirklich nicht lange -, merkte er, dass Sora eingeschlafen war und legte sie richtig hin. Danach legte er sich auf seine Matratze und dachte nach über dieses Ereignis nach, bevor er einschlief. Der nächste Morgen verlief wieder ganz normal, bis auf das Bewusstsein von Ginta, dass er Sora geküsst hatte. Am Abend fuhr er mit dem Rad allein nach Hause. Die Wolken zogen wieder zusammen und es sah aus, als ob es gleich wieder regnen würde. Deswegen trat er umso kräftiger in die Pedale. Als er zu Hause ankam, sah er seine Großmutter in der Mitte des Hofes auf dem Boden knien und gen Himmel blicken. Schnell stellte Ginta sein Fahrrad ab, rannte zu ihr hin und fragte sie: „Großmutter, was machst du da? Es ist kalt und feucht… Warum gehen wir nicht ins Haus?“
Sie sah ihn an. Tränen kullerten ihr über das Gesicht.
„Ginta!“, stieß es aus ihr heraus und sie umarmte ihn fest, „Du musst jetzt stark sein… Ja, Ginta?“
„Aber Großmutter… Was ist denn los?“, wunderte er sich.
„Deine Eltern…“, schluchzte sie, „Sie hatten auf dem Heimweg einen Unfall…“
„Wie… einen Unfall“, stotterte Ginta und sah sie entsetzt an.
„Sie… sie sind jetzt an einem besseren Ort…“, erklärte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen, „Deine Eltern werden nicht mehr zurück kommen…“
Die Welt blieb für ihn stehen.
„Das… das stimmt nicht! Das ist nicht wahr!“, brüllte Ginta.
Nun kullerten ihm auch die ersten Tränen über das Gesicht und in diesem Augenblick fing es an zu Regnen, nein, es schüttete wie aus Eimern. Ginta riss sich von seiner Großmutter los.
„Das stimmt nicht!“, brüllte er wieder und rannte ins Haus. Er stürmte durch die Zimmer und konnte gar nicht begreifen, was los war. In den nächsten Tagen war das Haus mit einer unheimlichen Stille gefüllt. Ginta sperrte sich vor Trauer in sein Zimmer ein und sprach kein einziges Wort mehr. Die Trauer und der Schmerz ließen ihn alles um sich herum vergessen. Das einzige, an das er sich in dieser Zeit klammerte, waren die Erinnerungen an seine Eltern. An all das, was er mit ihnen erleben konnte.
„Komm doch aus deinem Zimmer! Das bringt doch nichts, Ginta. Komm mit in den Schrein, wir beten für die beiden…“, schlug seine Großmutter immer wieder vor, die wartend vor seinem Zimmer saß. Das geschah genau vor 6 Jahren.


Kapitel 17 – Vernezye, Hafen des Glücks

Ein neuer Morgen brach an. Ginta, Oto und Ryoma wurden sanft von dem Rauschen des Meeres geweckt. Ryoma setzte sich auf, gähnte kräftig und sah sich den Strand an. Er entdeckte Ama, der ein paar sportliche Übungen verrichtete. Nachdem dieser mit den Liegestützen fertig war, legte er die Hände auf den Boden, holte Schwung mit seinen Beinen und machte einen Handstand. ‚Der ist ja richtig gut…‘, dachte sich Ryoma und gähnte noch einmal herzhaft.
Doch bevor er überhaupt neidisch werden konnte, wurde er schon durch Oto und Ginta abgelenkt, die gerade auch aufwachten. Die beiden setzten sich auf und schauten sich auch erstmal um. Dann entdeckten sie ebenfalls Ama, der immer noch einen Handstand machte.
„Seit wann bist du denn schon wach?“, fragte Oto ihn und fuhr sich durchs Haar.
„Kein Wunder, dass er so viele Muskeln hat“, waren Gintas erste Worte.
„Ich bin seit Sonnenaufgang wach und trainiere…“, antwortete Ama ihr.
„Seit Sonnenaufgang? Wie lang haben wir geschlafen?“
„Sehr lange, Oto. Es sind sicherlich schon fünf Stunden vergangen…“
„Fünf Stunden… mhh…“, murmelte Ryoma, der gerade dabei war sich anzuziehen.
„Ja… Das kommt gut hin…“, schätzte Ama.
Ginta hörte dem Gespräch nicht genau zu, er war einfach noch zu müde dafür. Während Oto sich hinter den Büschen, die etwas von ihrem Lager entfernt waren, umzog, stand auch Ginta endlich auf und streifte sich sein T-Shirt über den Körper.
„Du sag mal, Ama…“, fing Ginta an.
„Ja, was ist denn?“, fragte dieser.
„Jetzt, da du weißt, dass wir über das Meer auf einen anderen Kontinent reisen, hättest du nicht Lust, mit uns zu kommen? Vielleicht ist deine Familie dort?“
„Ginta… Danke für dein Angebot… Aber ich will hier nicht weg. Ich lebe schon seit vielen Jahren hier. Das Meer, der Strand, sogar die Tiere sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich finde, es ist hier der schönste Ort auf der ganzen Welt.“
Ama zog eine traurige Miene und Ginta merkte sofort, dass da etwas nicht stimmte.
„Wirklich? Ehm… Ja gut… Wenn du nicht willst…“, murmelte Ginta und sah bedrückt zu Boden.
‚Was ist mit mir los? Warum… Warum finde ich es nicht gut, dass Ama hier bleibt? Ist es wegen dem Gefühl von letzter Nacht? Oder weil ich Ama zu gern helfen würde, seine Familie wiederzufinden? Mhh…’, waren seine Gedanken, die aber von Oto unterbrochen wurden.
„Dagegen können wir nichts machen“, flüsterte sie in sein Ohr. Sie war schon fertig umgezogen, hatte ihre Haare gemacht und fing an, wie Ryoma ihr Zelt abzubauen. Ginta schaute ihr nur verwundert nach. Nach einer Weile waren alle Zelte abgebaut, alles wieder zusammengepackt und auch Myu tauchte wieder auf, die wohl eine kleine Erkundungstour gemacht hatte.
„Jetzt ist es wohl Zeit, Abschied zu nehmen“, meinte Ama, der aber auch schon längst seine Übungen beendet hatte.
„Abschied…“, flüsterte Oto.
Sie merkte nun, was ihr an Ama alles gefiel. Es war einfach zu schade, dass er nicht mit ihnen mitreiste.
„Aber wir sehen uns doch irgendwann wieder?“, erkundigte sich Ginta, der Ama seine Hand reichte.
„Aber sicher! Darauf könnt ihr wetten“, entgegnete Ama.
„Lieber nicht…“, nuschelte Ryoma.
„Hast du was gesagt?“, grinste Ama.
„Ich meinte nur: Tschüss!“
Er nahm seine Sachen und ging schon mal vor, ohne weitere Momente für Ama zu verschwenden. Ryoma zeigte Ama sozusagen die ‚kalte Schulter’.
‚Ach, der ist mir doch egal… Auch wenn Otochen mehr an ihm interessiert ist als an mir…‘, dachte sich der Schwertkämpfer und schmollte.
Ama wandte sich zu Oto, nahm ihre Hand, und küsste diese wie ein Gentleman
„Oto… Ich wünsche dir alles Gute. Ich hoffe, dass ich dich noch einmal wieder sehen kann.“
Ihr Gesicht wurde rot. Verwundert sah sie ihn an und sagte: „Danke… Wir sehen uns bestimmt.“
Nun hatte jeder sich verabschiedet, Ama verschwand mit seinem Boot auf dem Meer und Ginta und Oto waren immer noch ein wenig bedrückt. Aber die Reise musste weitergehen. Es dauerte sicherlich nicht mehr lange bis sie das Stadttor Vernezyes erreichten. Ob Ama sie wirklich wieder treffen würde und wann das überhaupt passieren wollte, das wussten die Drei nicht. Aber sie wussten dennoch, dass Ama in der kurzen Zeit ihrer Begegnung wirklich ein Freund geworden war. Ginta und auch Oto spürten in ihm irgendwie etwas Besonderes. Nach einigen Minuten erreichten sie das riesige Stadttor. Es waren lauter Reliefs von Schiffen, Booten und einem riesengroßen Markt darauf. Sie blieben aber nicht lange genug davor stehen, um es sich genau anzusehen. Die Neugier packte die drei und so betraten sie ‚Vernezye, der Hafen des Glücks’, wie es auf einem Schild geschrieben stand.
„Der Hafen des Glücks… Hört sich sehr interessant an“, sagte Oto.
„Was es hier wohl alles gibt?“, fragte Ryoma.
„Lasst uns erstmal den großen Markt anschauen! Danach können wir uns ja dann über die Fähre erkundigen, geht das klar?“, wollte Oto wissen.
Das taten sie dann auch. Auf dem Weg zum Markt mussten sie nur der Hauptstraße folgen. Die Gebäude sahen alle sehr alt aus und die Straßen ebenfalls. Die Fassaden der Häuser waren alle in beige, weiß und gelb gehalten. Sie sahen Wohnhäuser, Läden und viele andere Gebäude in denen viele verschiedene Menschen lebten und arbeiteten. Nach nicht allzu langer Zeit sah Oto eine kleine Hütte. Vor dieser stand ein Schild mit der Aufschrift: ‚Wahrsagerin Sayoko, ich enthülle die Zukunft und kläre die Vergangenheit’. Dies weckte sofort ihre Neugier.
„Wow! Lasst uns da mal reingehen… Bitte!“, flehte sie Ginta und Ryoma an.
„Eine Wahrsagerin? Pah!“, meinte Ryoma höhnisch.
„Das wird doch sicherlich lustig“, grinste Ginta, „Jetzt komm doch, Ryoma!“
Ryoma ließ sich überzeugen und so traten sie ein. Der Raum, in den sie gelangten, war geschmückt mit lauter Schmuck, Figuren, Puppen und anderen Accessoires. Voller Begeisterung schritt Oto voran und schaute sich um. Etwas Mysteriöses lag im Raum.
„Kommt doch ganz herein…“, bat eine weibliche Stimme.
„Das ist sicherlich so eine Kleine, Fette…“, flüsterte Ryoma.
Voller Verwunderung entdeckte Ryoma eine ungefähr 1,78m große Frau, die lange dunkelpinke Haare hatte. Sie trug einen schwarz-violetten Mantel und darunter eine hautenge Hose und das passende, dunkel farbige Top. Ihr Hals war geschmückt von einer großen Perlenkette. Ginta und Oto setzten sich an ihren Tisch, Ryoma hingegen blieb stehen.
„Hallo, ihr zwei… Willkommen in Sayokos Wahrsagerei, was kann ich für euch tun?“
„Ich möchte bitte meine Zukunft vorhergesagt bekommen…“
„Darf ich erstmal deinen Namen erfahren?“, erkundigte sich die Wahrsagerin.
„Ich heiße Oto…“
Ginta hatte plötzlich so ein komisches Gefühl. Als wäre in ihm eine Art Wirbelsturm oder so etwas in der Art. Was war es diesmal? Vielleicht dieser eigenartige Flair, der herrschte. Aber es konnte auch einfach nur die Porzellanpuppe gewesen sein, die im Regal saß und Ginta mit ihren riesigen Augen beobachtete. Ein kalter Schauder fuhr ihm über den Rücken. Er ließ sich aber nichts anmerken und betrachtete weiter, was die Wahrsagerin praktizierte. Sie nahm Otos Hand, legte ihre darauf und murmelte etwas. Begeistert sah Oto zu und wartete auf ein Ergebnis. Es herrschte plötzlich eine eigenartige Stille, die nur von Ryomas „mit-dem-Fuß-auf-dem-Boden-Getippe“ unterbrochen wurde.
„Ich sehe schon…“, stellte Sayoko plötzlich fest. Sie holte tief Luft, als hätte sie gerade etwas erschüttert.
„Was sehen Sie, Sayoko?“ Erwartungsvoll blickte Oto zu Sayoko auf.
„Du wirst bald etwas Enormes tun, was niemand von dir erwartet… Nass… Es wird sehr nass… Danach wird dir eine große Menge danken! Außerdem brauchst du mich nicht siezen, ich bin erst 28“, sagte Sayoko und zwinkerte ihr zu.
„Aha… So ist das…“, murmelte Oto. Sie hatte keine Ahnung, was die Worte bedeuteten, aber ihr blieb nichts anderes übrig, außer an diese Worte zu glauben.
„So… Das kostet dann…“, fing Sayoko an, aber bevor die Wahrsagerin ihren Satz beenden konnte, hörte man von draußen einen gewaltigen Lärm. Sofort stürmten Ginta, Oto und Ryoma aus der Hütte, um herauszufinden, was geschehen ist. Eine riesige Menschenmenge stand vor einem hohen Haus. Auf dem Dach stand jemand und hielt etwas in den Händen. Er schrie so etwas wie: „Gebt mir endlich das Geld, oder das Kind stirbt!“ Man konnte es nur schwer verstehen. Ginta wusste sofort wie er handeln sollte. Plötzlich ließ der Kerl auf dem Dach das Ding, das sich wirklich als Baby herausstellte, los. Ohne jeglichen Gedanken zu verlieren, rannte Ginta durch die Masse um das Baby aufzufangen. Einige der Menschen schrien um das Kind, andere rannten nach Hause, um Hilfe zu holen. Die, die von Ginta angerempelt wurden, beschwerten sich, was für ein Rüpel er sei.
„Wer das Baby fängt, stirbt! Verstanden!?“, rief der Kerl auf dem Dach und ließ ein paar Schüsse los. All die Menschen die unten standen, liefen kreischend weg. Doch Ginta rannte dem fallenden Baby entgegen, um es aufzufangen.
‚Eine Menge wird mir danken…’, dachte sich Oto, ‚Es wird sehr nass? Was meint sie damit? Etwa Blut?’
Weiter in ihre Gedanken vertieft, rannte sie um das Haus herum, um einen Eingang zu finden. Ryoma rannte ihr hinterher. Als Sayoko es jedoch ebenfalls schaffte, ihre Hütte zu verlassen, sah sie niemanden mehr vor sich.
„Wenn ich die drei erwische! Die werden das Dreifache bezahlen!“, schrie sie wütend und verschwand kurz in ihrer Hütte. In der Zwischenzeit schaffte es Ginta, das Kind aufzufangen und den Schüssen dieses Typen auszuweichen.
„Was soll das!? Was machen Sie da!?!“, rief Ginta hinauf, „Wie können sie so entsetzliche Dinge tun!?“
„Wenn ich das Geld nicht sofort bekomme, dann werdet ihr beide sterben!“
Ginta wich geschickt weiteren Schüssen aus und versuchte, sich den Kerl genauer anzusehen. Er trug einen langen schwarzen Mantel, was also nichts Gutes bedeuten sollte.
‚Oh nein! Das kann doch kein Shal sein!’, dachte sich Ginta. Als es ihm klar wurde, spürte er wieder diese Wut.
„Warte, junger Mann! Hier… Hier!“, schrie eine andere Stimme.
Ginta sah sich um. An einer nicht allzu weit entfernten Straßenecke stand ein Mann und winkte. Glücklicherweise konnte der Kerl auf dem Dach diesen nicht entdecken. In der Zwischenzeit fanden Oto und Ryoma die Tür und klingelten bei jeder Familie.
„Machen Sie mir bitte auf!?“, bat Ryoma, „Auf dem Dach ist ein Verrückter, ich bin da, um zu helfen!“
Die Tür öffnete sich, und eine alte Frau stand dahinter.
„Kommen Sie rein, kommen Sie rein!“, sagte die alte Frau, die Oto und Ryoma anlächelte.
„Vielen Dank“, presste Oto noch aus sich raus, bevor sie die Treppen nach oben stürmte.
„Was die Kinder heutzutage alles für Spiele spielen…“, wunderte sich die alte Frau kopfschüttelnd.
„Kommt doch später bei mir vorbei! Ich mach euch einen Tee“, rief sie noch den Treppengang nach oben. Dies wurde aber von Ryoma und Oto nicht wirklich wahrgenommen. Ginta wich weiter den Schüssen aus und rannte zu der Straßenecke, wo der Mann stand.
„Das ist mein Kind, vielen Dank, dass du es gerettet hast…“, bedankte sich dieser und stellte sicher, dass das Baby gesund war, „Endlich habe ich dich wieder…“
Er war etwas größer als Ginta, schlank und hatte eine Kapitänsmütze auf. Seine Haare waren schwarz. Das sah man an seinem Schnauzer.
„Mein Name ist Relid J. Sendo… Nochmals vielen Dank!“, bedankte er sich, während ihm Tränen über das Gesicht kullerten.
„Ich bin Ginta… Sorry, aber ich muss diesen Kerl aufhalten, bis gleich!“ Ginta rannte sofort zurück. Durch die Wut, die er immer noch in sich trug, wurde er anscheinend gar nicht erschöpft. Oto und Ryoma standen nun vor der Dachtür. Ohne zu wissen was sie erwartete, öffneten sie die Tür. Das Herz von Oto pochte schon wie wild und das Adrenalin schoss ihr durch den ganzen Körper. Auch Ryoma wurde ein wenig nervös. Der Kerl mit dem schwarzen Mantel stand am Rand des Daches und merkte nicht, dass Oto und Ryoma ebenfalls auf dem Dach waren.
„Wir machen das so…“, flüsterte Ryoma.
„Geht klar…“
Oto schlich sich an den Typen heran und tippte ihm auf die Schulter. Dieser drehte sich zu ihr herum. Siegessicher wollte er Oto packen und als Geisel nehmen, diese duckte sich jedoch. Ryoma, der hinter ihr stand, hatte nun die Möglichkeit, ihm ins Gesicht zu schlagen. Schnell wurde dieser Typ bewusstlos und fiel auf Oto, die wieder auswich.
„Hey, was geht da oben ab!?“, rief Ginta.
„Alles in Ordnung!“, rief Ryoma zurück.
„Ryoma? Was macht denn der da oben?“ Erleichtert blieb Ginta stehen, grinste und ihm wurde klar, dass das Übel nun ein Ende nahm.
„Ginta! Was ist nun passiert?“, rief Relid J. Sendo, der ihm entgegen lief.
„Meine Freunde haben offensichtlich diesen Kerl bewusstlos geschlagen… Was wollte der eigentlich?“
„Nun ja… Er wollte mich erpressen… Er verlangte für mein Kind eine sehr hohe Summe Geld. Hier in diesem Koffer sind unsere letzten Ersparnisse. Kann ich mich denn nicht in irgendeiner Art erkenntlich für eure Heldentat zeigen?“, erklärte Relid und verbeugte sich noch einmal aus Dankbarkeit.
„Ja, wir wollen eine Fähre nach Ruterion nehmen, haben aber keine Ahnung, wo der Hafen ist und wo man sich Tickets kauft.“
„Das ist ja mal ein Zufall!“, Relid fing an zu lachen, „Ich bin der Kapitän des einzigen Luxuskreuzers der nach Ruterion fährt!“
„Luxuskreuzer?“ Verdutzt schaute Ginta Relid an.
„Ich lade euch ein, mit an Bord zu gehen! Alles ist kostenlos!“
„Luxuskreuzer… Kosten… Kostenlos?“, stotterte Ginta, „G… Gerne doch! Vielen, vielen Dank!“
Ginta musste dem Verlangen widerstehen, voller Freude herum zu springen.
„Ich muss danken, du hast meinen Sohn gerettet!“
„Ach, das war doch gar nichts…“, meinte Ginta verlegen und kratze sich am Hinterkopf. Nach einer Weile tauchten auch Ryoma und Oto wieder auf.
„Da seid ihr ja! Wo habt ihr den Kerl hingebracht?“, erkundigte sich Ginta.
„Ein paar nette Wachen haben ihn uns abgenommen“, erklärte Oto.
„Darf ich vorstellen: Relid J. Sendo, der Kapitän des Luxuskreuzers, der uns nach Ruterion fährt.“
„Luxuskreuzer!? Das ist doch nicht dein ernst!“, wunderte sich Oto.
„Doch, er nimmt uns gerne mit, weil wir seinen Sohn gerettet haben“, verkündete Ginta stolz.
„Also müssen wir doch aufs Meer…“, murmelte Ryoma unverständlich, „Wenigstens auf einem Luxuskreuzer.“
Er seufzte kurz auf.
„Ach… Es ist schon so spät… Kommt doch mit, ich muss meine Gattin noch am Hafen treffen. Sie organisiert gerade die Beladung.“
„Geht klar“, antwortete Ginta. So gingen die fünf zum Hafen hinunter, um die Gattin von Relid J. Sendo zu treffen.
„WAS soll das hier eigentlich!?!“, schrie Sayoko, die gerade wieder aus ihrer Hütte gekommen war. Jeder in ihrer Umgebung konnte merken, was für eine Wut sie gerade versprühte.
„Wer konnte ahnen, dass mein Her wieder Ärger macht? Und jetzt sind auch diese drei da verschwunden! Es hat alles keinen Sinn.“
Sie seufzte, sah sich um und machte sich auf die Suche nach Ginta, Ryoma und Oto. Nach der Bekanntmachung mit der Gattin des Kapitäns schauten die drei sich das Schiff an, besser gesagt: den Luxuskreuzer. Die Gänge waren alle mit Gold verziert, seltene Kunstwerke schmückten die Hallen und überall hingen glitzernde Kronleuchter.
„Das hier ist eure Suite“, sagte Relid, der sie herumführte.
„Wow, die ist aber groß!“, bewunderte Oto.
„Kommt doch am Abend bitte zu mir hoch.“
„Das machen wir sicherlich“, erwiderte Ginta und grinste. Der Kapitän verschwand und Ginta, Oto, Ryoma und Myu machten es sich in ihrer Suite bequem.


Kapitel 18 – Stürmendes Meer

Ginta und Oto machten nun eine Erkundungstour durch das Schiff. Ryoma und Myu wollten lieber in der Suite bleiben. Der leichte Wellengang machte den beiden zu schaffen. Der Weg der beiden anderen führte erstmal durch einen Gang, der mit einem roten Teppich ausgelegt war. Seitlich an den Wänden waren goldene Kerzenhalter, die mit allen möglichen Akanthen (Ornamentmotiv des antiken Griechenlands, meist blattförmige Gebilde) und Friesen verziert waren. Dieser Gang führte Ginta und Oto noch an einer Vielzahl von anderen Suiten, Kajüten und Kabinen vorbei. Hektische und beschäftigte Putzfrauen und andere Mitarbeiter kamen den beiden entgegen. Weiter führte sie ihr Weg durch das Schiff zum nächsten Deck. Deck 5 war das Passagierdeck. Auf dem folgenden Deck 4 waren sämtliche Unterhaltungsräume untergebracht. Sie gingen die Treppe nach oben und standen in der Mitte einer riesigen Vorhalle, in der viele Sitzmöglichkeiten, Tische und sogar eine Bar vorhanden waren.
„Schau dir das mal an, Ginta! Was für eine riesige Halle!“, bemerkte Oto, deren Begeisterung man in ihren großen, glitzernden Augen ablesen konnte. Ginta ging zur Karte, die nicht weit von der Treppe entfernt war und las vor: „Sie sind hier (ein roter Punkt war durch einen Pfeil markiert). Sie stehen inmitten der zweitgrößten Halle des Luxuskreuzers. Auf diesem Deck haben sie viele Möglichkeiten sich sportlich zu betätigen, zusammen mit Freunden im Casino zu sein, oder einfach an der Bar einen genüsslichen Abend zu verbringen. Folgende Sachen finden sie hier: …“
Ginta zählte die Räume und Aktivitäten nicht mehr auf, sondern schwenkte gleich um, um sich diese Halle genauer anzuschauen.
„Sag mal, Oto… Kommt dir diese Halle nicht bekannt vor?“
„Nicht, dass ich wüsste… Auch wenn ich jetzt genauer hinschaue, erkenne ich nichts, dass ich schon einmal gesehen habe“, behauptete sie, kratzte sich am Kopf und schüttelte verneinend den Kopf.
„Mhh… Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein“, endete Ginta.
Da sie noch zu jung für das Casino waren, wendeten sie sich zur Sporthalle. Diese war voller Sportgeräte, die schon alle von Gästen besetzt waren. Einige Geräte kannte Ginta noch gar nicht, betrachtete sie näher und wunderte sich, wie diese funktionierten.
„Was man damit wohl alles trainieren kann?“, fragte Ginta neugierig. Kalt entgegnete Oto: „Auf jeden Fall nicht dein Gehirn.“ Sie war wohl nicht sehr davon begeistert und drängte Ginta, so schnell wie möglich weiter zu gehen. Am Ende der Sporthalle angelangt, wartete die nächste Treppe auf Oto und Ginta. Etwas genervt ließ Ginta ein Stöhnen los und sagte: „Schon wieder eine Treppe…?“
In diesem Moment lief ein Matrose vorbei und hörte dies.
„Warum benutzen Sie nicht den Aufzug?“, schlug er vor und deutete mit seinem Finger auf die rechte Seite des Raumes. Auf dieser Seite war eine rotbraune Tür, die mit goldenen Schnörkeln verziert war.
„Vielen Dank“, murmelte Ginta, doch der Matrose konnte das nicht mehr hören. Zu schnell ging er weiter. So bewegten sich die beiden in Richtung Aufzug.
„Wer diese Tür wohl gemacht hat? Diese Verzierungen schauen echt schön aus“, wunderte sich Oto, die wieder dieses Glitzern in den Augen hatte. Eine Sekunde später öffnete sich die Tür und ein paar Menschen verließen den Aufzug. Ginta und Oto stiegen sofort ein und die Tür schloss sich hinter ihnen.
„Man merkt, dass wir bald ablegen“, behauptete Ginta.
„Wieso das denn?“
„Sieh doch. Die ganze Sporthalle war schon mit Gästen gefüllt und einige weitere Personen sind gerade aus diesem Aufzug ausgestiegen. Es müssten also bald alle Personen an Bord sein.“
„Wie lang wir wohl schon auf diesem Schiff sind?“
„Hast du die Uhren in der großen Halle nicht gesehen? Wir sind schon gut 3 Stunden auf diesem Schiff.“
„Tut mir Leid, Ginta, ich war viel zu beschäftigt, die Halle zu betrachten.“
Der Aufzug startete und fuhr eine Etage nach oben, zu Deck 3. Deck 3 war eigentlich nur ein Spazierdeck mit vielen Shops. Ein riesiger Gang führte die beiden vom Heck des Schiffes zum Bug. Beidseitig waren die Wände aus Glas. So konnte man das Meer auf der linken und die Shops auf der rechten Seite sehen.
„Dieses Schiff hat aber echt alles zu bieten!“, rief Oto, deren Begeisterung wohl nicht aufhören wollte.
„Das alles ist auf einem Schiff untergebracht?“, wunderte sich Ginta, „Echt bemerkenswert…“
Ginta war nicht das erste mal auf einem Schiff. Er war schon mal auf einem kleineren, zusammen mit seinen Eltern, als sie Urlaub machten. Jedoch war das wieder so lange her, dass er sich kaum mehr daran erinnerte. Ginta schlenderte den Gang entlang und sah sich die einzelnen Shops genauer an. Es standen viele Waren zur Auswahl. Es reichte von Uhren über Süßigkeiten, bis hin zu jeglicher Art von Abendgarderobe. Oto jedoch kümmerte sich mehr um das freie Meer. Ginta hatte Recht gehabt, es waren alle Passagiere auf dem Luxuskreuzer und ohne, dass die zwei es bemerkten, waren sie schon auf dem Meer unterwegs. Die Wolken zogen über den Himmel. Möwen versuchten, nach Fischen zu schnappen und die Wellen bewegten das Schiff sanft wie eine Wiege. Dies merkten vor allem Ryoma und Myu, die ja in der Suite geblieben waren.
„Wieder mal ein Moment wo wir zwei alleine sind…“, seufzte Ryoma, der einen Blick auf Myu warf. Sie lag auf Gintas Bett und bewegte sich keinen Zentimeter. Siegessicher grinste Ryoma, denn er wusste, dass er diesmal nicht von Myu angegriffen werden würde. Jedoch passierte etwas anderes mit ihm. Plötzlich bekam er ein komisches Gefühl, das von seinem Magen ausging. Schnell rannte er auf das nicht weit entfernte Klo um sich dort zu übergeben. Ryoma wurde wohl seekrank. Währenddessen kamen die anderen beiden endlich am Ende des Ganges an und nahmen den Aufzug, um auf Deck 2 zu gelangen. Deck 2 war das Oberdeck. Es ging ein leichter Wind und die beiden konnten viele Gäste entdecken, die an diesem sonnigen Tag die frische Meerluft genossen. Eigentlich gab es nichts Interessantes zu sehen. Es gab ein paar Sitzmöglichkeiten und zentral gab es eine Art Platz. Einige Matrosen liefen hin und her und brachten Tische mit sich, die sie gleich bedeckten. Ein paar andere schmückten diesen Platz mit Girlanden und Lichtketten.
„Komm, Ginta, schauen wir mal, was der Kapitän macht“, schlug Oto vor und grinste. Ginta nickte nur und einen Moment später gingen sie auf die letzte Treppe zu, die zur Brücke, dem Deck 1, führte. Vorsichtig klopften sie an die dicke Tür und schauten durch das runde Fenster hindurch. Relid stand am großen Steuer, sah zur Tür hin und winkte den zweien zu. Nun öffnete Ginta die Tür und trat zusammen mit Oto ein. Voller Freude und Begeisterung schaute sie sich in dem großen Raum um. Ginta fing gleich an, sich mit Relid zu unterhalten, Oto jedoch musste sich die ganzen Apparate anschauen, die man zum Steuern eines Schiffes brauchte.
„Schön, dass ihr hier hoch gefunden habt“, sagte Relid mit einem Lächeln auf dem Gesicht, „Darf ich vorstellen? Das ist Uminoko, meine reizende Gattin.“
Hinter ihm trat seine Frau hervor, die das Baby in den Armen hielt.
„Ich konnte mich vorhin vor lauter Stress gar nicht vorstellen“, entschuldigte sie sich.
„Was ich noch erzählen wollte…“, fuhr Relid fort, „Heute Abend gibt es eine große Gala. Ich würde euch drei gerne dazu einladen.“
„Wir nehmen natürlich an!“,  anwortete Oto, „Wie romantisch das wohl ist…“
„Aber wir haben gar keine Abendgarderobe…“, erwähnte Ginta beiläufig und kratzte sich am Hinterkopf.
„Darum habe ich euch auch zu mir gebeten. Uminoko wird euch einkleiden.“
„Wir haben eine Garderobe für Mitarbeiter, da dürft ihr euch etwas heraussuchen…“
Oto konnte es gar nicht fassen. Einer ihrer größten Träume wurde wahr. Sie durfte auf einem Luxuskreuzer an einer Gala teilnehmen, ein wunderschönes Abendkleid tragen, und der beruhigenden Musik des Meeres lauschen. Ihre Augen glitzerten förmlich und gleich zog sie Ginta mit sich aus dem Raum raus, stürmte die Treppe hinunter und rief zu Uminoko: „Wo bleiben Sie!? Wir haben nicht mehr lange Zeit, es ist bald Abend!“
„Oto, wir haben erst Nachmittag…“, murmelte Ginta. Dies überhörte Oto aber.
In der Zwischenzeit fragte sich an einem anderen Teil des Schiffes eine junge Frau, wo sie gerade war.
„Es ist so verdammt dunkel… Aber was erhofft man sich, wenn man kein Ticket hat“, lachte sie auf sarkastische Art.
„Aber meiner Meinung nach könnte dieser Lagerraum schon aufgeräumter sein…“
In diesem Moment öffnete sich die Tür und zwei Matrosen betraten den Raum. Sofort versteckte sich die junge Frau hinter einer der Kisten, um nicht entdeckt zu werden.
„Die Chefin meinte, dass hier noch ein paar Tische sein müssten…“, behauptete der etwas größere Matrose.
„Ja, hat sie… Aber wie es scheint, gibt es hier keine…“, meinte der andere und beide verschwanden.
„Puh, noch mal Glück gehabt“, flüsterte sie. „Ich muss jetzt endlich diese Bälger finden! Sie haben mir immer noch nicht mein Geld bezahlt…“, meinte Sayoko mürrisch. So stand sie auf, öffnete die Tür und sah sich um. Da keiner zu sehen war, schlich sie sich den Gang entlang zur nächsten Treppe.
‚Das muss eines der untersten Decks sein… Wenn mich hier jemand findet, bin ich geliefert…‘, dachte sie sich, ‚Aber was mache ich hier eigentlich!? Drei Bälgern hinterher jagen, die nicht bezahlt haben? Wie komme ich denn wieder nach Hause!?’Sie fing schon fast an zu weinen. ‚Tja, das hast du dir selber eingebrockt Sayoko, da kommst du auch selber wieder raus!‘
So kam es, dass Sayoko versuchte, sich von Deck zu Deck zu schleichen, ohne bemerkt zu werden, in der Hoffnung, Ginta, Oto und Ryoma endlich zu finden.
Mittlerweile erreichten Oto, Uminoko und Ginta die Garderobe.
„Wenn ich mal fragen darf, wo ist denn der Große in dem roten Kimono?“
„Sie meinen Ryoma?“, fragte Ginta.
„Ich glaube, er ist seekrank“, antwortete Oto, „Er liegt in unserer Suite und wollte nicht mit uns kommen. Ich vermute auch, dass er sie heute auch nicht mehr verlassen wird.“
„Also braucht ihr dann nur ein Abendkleid und einen Smoking? Dann nehmen wir doch für dich…“, Uminoko kramte in dem einzigen, riesigen Schrank nach Kleidern, die Oto passen könnten, „…Das hier!“ Sie zog ein dunkelrotes Kleid aus dem Schrank, das am unteren Ende goldene Verzierungen hatte.
„Das ist…“, Oto staunte nur, „wunderschön!“
„Dann geh es doch mal bitte anprobieren, sicher ist sicher. Für dich Ginta… habe ich… das hier.“ Sie holte einen schwarzen Smoking aus dem Schrank.
„Dazu kannst du dieses weiße Hemd tragen. Eine Krawatte brauchst du nicht, oder? Das macht dich nur älter.“
Grinsend nahm er den Smoking entgegen und meinte: „Soll ich es auch sicherheitshalber anprobieren?“ Uminoko nickte. Nach nicht allzu langer Zeit waren die beiden fertig umgezogen. Oto stand bereits vor dem Spiegel und betrachtete sich.
„Das Kleid betont deinen Körper perfekt, du schaust aus wie eine Prinzessin“, bemerkte Uminoko lächelnd.
„Meinen Sie wirklich? Ach… Da fühle ich mich gleich geschmeichelt… Ginta, komm endlich raus und zeig dich!“
„Nein… Ich will nicht!“, hörte man ihn aus seiner Kabine herausrufen.
„Soll ich kommen und dich holen?“
„Nein, Oto, das brauchst du wirklich nicht!“
„Dann komm auf der Stelle raus!“
Die Tür öffnete sich, Ginta trat heraus und sah Oto an. Diese wiederum schaute Ginta an.
„Oto… du… bist wunderschön…“
„Aber du erst, Ginta“, sagte sie und lächelte ihn an. Ginta stand nun da. Bekleidet mit einem Smoking, alle Knöpfe des Hemdes bis auf die Obersten geschlossen, die Haare gekämmt.
„So kennt man dich ja gar nicht, Ginta!“, lachte Oto und grinste bis über beide Ohren.
„Das ist auch das erste Mal in meinem Leben, dass ich so was trage…“
„Also, ihr zwei, ich muss mir für heute auch noch etwas zum Anziehen heraus suchen und mich fertig machen. Ich hoffe ihr findet den Weg selber zurück.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ Uminoko die Garderobe.
„Ich glaube, wir sollten Ryoma noch Bescheid sagen, dass wir heute Abend auf der Gala sind“, schlug Ginta vor, „Ich werde gleich mal zu ihm gehen.“
„Mach das, Ginta.“
Nun verschwand auch er. Oto wollte nicht allein in der Garderobe zurückbleiben und entschloss sich, noch ein wenig auf dem Oberdeck herumzulaufen. Man merkte, dass es langsam Abend wurde. Die Sonne verschwand allmählich hinter dem Horizont, der rote Himmel wurde langsam in ein tiefes dunkelblau gefärbt und die ersten Sterne waren zu erkennen.
‚Von so einem Moment habe ich schon immer geträumt, Großmutter…‘, sprach Oto zu sich selbst, in Gedanken bei ihrer lieben Großmutter. Nachdem Ginta Ryoma alles über das Vorhaben erzählt hatte, ging er wieder aufs Oberdeck. Ryoma legte sich in das Bett, um sich auszuruhen.
Nach etlichen Treppen und Umwegen, die Sayoko hinter sich brachte, fand sie einen Raum mit der Aufschrift: „Mitarbeiter Garderobe“. Es war nicht abgesperrt, darum ging Sayoko einfach hinein.
‚Die Matrosen die vorhin von der Gala gesprochen haben… Die hatten auch Smokings an… Die beste Tarnung ist also ein Abendoutfit…‘
Sie öffnete den einzigen Schrank, der in dem Raum vorhanden war und griff nach dem nächst bestem Kleid. Es war ein schwarzes Satinkleid das sie gleich anzog. Zufälligerweise passte es ihr perfekt. Jetzt musste sie nur noch ihre langen Haare hochstecken, sich schminken und die Tarnung war perfekt.
„Ginta, da bist du ja wieder!“, rief Oto, als sie ihn die Treppe hochgehen sah, „Wie geht es Ryoma?“
„Er meinte, er wäre wirklich seekrank. Aber er hat auch gemeint, dass es ihm ein wenig besser ginge. Ich habe auf dem Weg hier hoch noch nach Schmerztabletten für ihn gefragt.“
„Das ist ja lieb von dir, Ginta…“, meinte Oto.
Auf einmal ertönte Musik als die Band anfing zu spielen.
„Es fängt an“, stellte Oto fest, die schon aufgeregt an ihren Kleid zupfte. Nach dem Eröffnungslied hielt Relid zusammen mit Uminoko eine Rede, bedankte sich bei Ginta, Oto und Ryoma wegen der Rettung des Kindes und wünschte allen Gästen viel Spaß  für den Rest des Abends.
„Oto, darf ich um diesen Tanz bitten?“, bat Ginta, verbeugte sich und nahm Otos Hand. Er konnte das nicht tun ohne grinsen zu müssen. Oto musste daraufhin aber auch lachen und meinte nur: „Aber klar doch, Sir Ginta!“
Die beiden gingen auf die Tanzfläche und fingen an, zu der schönen, ruhigen Musik zu tanzen. Sayoko hatte sich mittlerweile an das Buffet gemacht.
„Das… schmeckt ja richtig klasse! Es ist schon lange her, dass ich so was Köstliches gegessen habe…“, meinte sie, während sie sich einige Appetithäppchen in den Mund stopfte.
„Auf diesem Schiff ist sicherlich viel zu holen“, sagte eine tiefe Stimme, „Ihr kennt den Plan?“
„Ja!“, antworteten die zwei anderen Personen. Das kleine Boot, auf dem sie fuhren, näherte sich langsam dem großen Luxuskreuzer.
„Ist das nicht ein wenig zu groß für uns?“, fragte die unsichere Stimme.
„Zu groß für andere Piraten, aber nicht für uns!“, meinte die tiefe Stimme und lachte.
„Wir sind nur eine einfache Diebesbande“, erwiderte die letzte Person.
Als das kleine Boot fast die Schiffswand berührte, nahmen die zwei kleineren Personen ein paar lange Enterhaken, die an Seilen befestigt waren und warfen sie Richtung Reling.
„Ihr habt eure Waffen? Gut… Auf geht’s!“, meinte der Größte der drei mit der tiefen Stimme. Sie kletterten die Wand empor und standen nun auf dem Oberdeck. Glücklicherweise waren sie am Heck des Schiffes, weswegen sie nicht entdeckt wurden. Die zwei kleineren Personen gingen in Richtung Brücke, die größte Person ging zur Gala, die noch immer stattfand. Die Gäste bekamen von alldem nichts mit, aber es gab noch Ryoma, der aufmerksam wurde, nur weil die drei Banditen direkt an seiner Suite vorbei mussten.
„Was… war denn das?“, wunderte er sich, öffnete das Fenster und sah nach oben, „Enterhaken? Ein Boot? Was ist denn hier los?“
In diesem Moment vergaß er seine Seekrankheit, zog sich an und rannte so schnell es ging nach oben. Oben angelangt, musste er erstmal durchatmen. Das sich übergeben nahm ihm schon etwas Kraft.
„Otochen und Ginta…“, er schnaufte heftig, „…sie… sind auf der Gala! Ich muss sie warnen!“
Er rannte weiter, doch als er den Platz endlich erreichte, war es schon zu spät. Der große Typ stand inmitten des Platzes und hielt eine große Waffe gen Himmel. Diese sah aus als wäre sie eine Art Kanone, mit viel Schnickschnack darum herum. Als Ryoma den Kerl sah, stellte er sich gleich an die nächste Wand, um nicht entdeckt zu werden und alles beobachten zu können.
‚Verdammt, ich komme zu spät! Wo… Wo sind Oto und Ginta!?‘ Aufmerksam schaute Ryoma durch die Reihen, aber konnte die beiden nicht erkennen.
„Was… Was willst du von uns!?“, schrie Relid, der in der ersten Reihe stand.
„Gebt mir all euer Geld und Schmuck!“, rief der Typ zurück, „Einer meiner Männer sollte gerade das Steuer übernehmen. Der andere wird gleich hier erscheinen.“
‚Die Brücke! Das ist der Ort! Auf geht’s, Ryoma!‘, motivierte sich der Schwertkämpfer selbst. Griffbereit legte er eine Hand auf sein Schwert und rannte in Richtung Brücke, die nicht weit entfernt war. Er machte sich Sorgen um Ginta und Oto, die er nicht gefunden hatte. Da war sie, die Treppe zur Brücke. Er sprang auf die ersten Stufen hinauf und rannte nach oben, aber es passierte wieder etwas Unerwartetes. In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Brücke und ein komisch gekleideter Mann kam heraus.
„Verdammte Scheiße!“, fluchte Ryoma.
„Wer… bist du denn, Schwertkämpfer?“, fragte der Typ. Ryoma sah auf seinem Rücken ein großes, machetenähnliches Schwert.
„Du bist wohl vor Osoro geflüchtet? Hey, Bruder, ich bin hier mal beschäftigt…“, rief er in die Brücke rein und schloss die Tür hinter sich.
„Lasst die Passagiere in Ruhe!“
„Auf keinen Fall!“, warf der Typ zurück und lachte. Währenddessen versuchten Ginta und Oto, so wenig wie möglich aufzufallen.
„Wir müssen eingreifen…“, flüsterte Ginta seiner Freundin zu.
„Aber er hat eine Kanone… Wie willst du da eingreifen?“
„Ich weiß… Wird schwierig… Er kämpft auf eine lange Distanz, man muss also von Nahem kommen… Ich hab da eine Idee, Oto!“
Ginta beugte sich zu Oto hin und flüsterte ihr den Plan ins Ohr. Daraufhin weiteten sich ihre Augen und sie stotterte: „Nie… Nie… Niemals!“
„Psst! Dir bleibt nichts anderes übrig, Oto… Während du dich um ihn kümmerst, werde ich mich um die Brücke kümmern…“
Nach diesen Worten versuchte er sich durch die dicke Masse unbemerkt zu bewegen.
„Ginta!“, murmelte Oto. Ihr blieb nichts anderes übrig, sie drängte sich in die erste Reihe und sagte: „Hey… du bist ja ein Toller? Ich steh auf starke Männer…“
Daraufhin ging Osoro auf Oto zu und streichelte ihre Wange. Sie war so angeekelt, dass sie ihm gleich eine Ohrfeige verpasst hätte, aber sie musste sich zusammenreißen, für das Wohl der Passagiere. Sie fasste all ihren Mut zusammen, schluckte ihre Angst runter und führte ihr Schauspiel fort.
Zur selben Zeit in einem anderen Teil des Schiffes bekämpften sich Ryoma und dieser unbekannte Schwertkämpfer.
„Dann fangen wir mal mit dem Kampf an! Darf ich mich vorstellen? Ich bin der große Akanjo! Meines Zeichens Schwertkämpfer…“
„Wer hat dich nach deinem bescheuerten Namen gefragt?“, lachte Ryoma höhnisch.
„Du…!“, knirschte Akanjo mit den Zähnen. Mit einer Hand griff er nach seinem Schwert, zog es heraus und sprang auf Ryoma zu. Der zog ebenfalls sein Schwert heraus und blockte Akanjos Angriff. Ryoma sprang zurück und versuchte, sich von den Angriffen Akanjos zu befreien. Leider schaffte es Ryoma nicht und er blockte einfach weiter die mächtigen Angriffe.
Nervös tippte Sayoko mit ihren Füßen auf den Boden.
‚Auch das noch! Kann dieser doofe Tag nicht endlich zu Ende gehen!? Wenn niemand anderes handelt, dann muss ich es wohl tun! Und diese blöde Kuh regt mich langsam auch auf!‘, sprach sie mit sich selbst.
Sie ballte ihre Fäuste, schubste die Leute vor sich bei Seite, die daraufhin unfreundlich reagierten, und ging direkt auf Osoro zu.
„Kannst du nicht einfach verschwinden!?“, schrie sie und schubste ihn auf den Boden. Zum Pech aller drückte Osoro auf den Abzug seiner Kanone, die dadurch eine Rakete abschoss. Die Rakete hinterließ einen dicken Rauchstreifen, als sie dem Himmel empor flog. So wie etwas dem Himmel empor fliegt, kommt es auch wieder zurück und das tat die Rakete ebenfalls. Mit einem pfeifenden Ton raste sie mit einer enormen Geschwindigkeit Richtung Schiff zurück. Die Rakete schlug direkt an dem Ort ein, wo Ryoma und Akanjo kämpften. Eine riesige Druckwelle schleuderte die zwei auf den Boden und setzte das halbe Oberdeck in Brand.
„Was… war das denn!?“, fragte sich Ginta, der endlich am Ort des Geschehens ankam, „Oh nein! Nicht auch noch das!“
Er hatte leider seinen Stab nicht dabei, also musste er sich auf seine körperlichen Fähigkeiten verlassen. Er stürmte in die bisher unbeschädigte Brücke, um zu sehen, was vor sich ging. Ein Kerl mit einer komisch, auffälligen Frisur stand am Steuer. In den Ecken saßen die Matrosen gefesselt am Boden und schrien um Hilfe.
„Kehehehehe! Osoro ist ja so ein Idiot! Wieso hat er denn diese Rakete abgefeuert!? Huch… Wer ist denn das?“, bemerkte der Typ am Steuer.
„Verschwindet sofort vom Schiff! Lasst die Passagiere in Ruhe!“
„DAS ist bereits zu spät, Kleiner…“, behauptete der Kerl, der mit seinem Messer auf Ginta zeigte, „Du legst es wohl auf einen Kampf aus, kehehehehe!“
„Wenn du das so sagst“, Ginta grinste, zog seine Jacke aus und warf es in die Ecke, in der die gefesselten Matrosen waren, „Euch befreie ich gleich!“
Osoro stütze sich auf, schaute Sayoko direkt in die Augen und verpasste ihr eine Ohrfeige. Blitzschnell stürzte sich Oto auf ihn und warf ihn wieder zu Boden.
„Verschwindet! Sucht irgendwo Schutz, das könnte jetzt gefährlich werden!“, schrie sie, während sie ihr schönes Kleid ein wenig kürzte, um sich besser bewegen zu können.
„Du… Du bist das eine Mädchen, Oto!“, rief Sayoko, als sie Oto wiedererkannte.
„Ich war schon immer Oto… Halt… Du bist doch diese eine Wahrsagerin!?“
„Ihr schuldet mir noch Geld!“
„Kümmern wir uns doch erst um den hier…“, schlug Oto vor und blickte auf den Boden. Komischerweise lag er nicht mehr dort. Beide blickten sich um, wo er denn sein könnte, fanden ihn aber nicht.
„Ihr seid dem Untergang geweiht!“, schrie ihr Gegner.
Sie blickten nach oben, und sahen ihn. Osoro stand auf dem großen Schornstein und zielte direkt mit seiner Kanone auf die beiden.
„Er… Er wird schießen!“, schrie Oto panisch.
„Das hätte ich nun wirklich nie gedacht“, behauptete Sayoko, „Wenn er schießt, dann versuche ich ihn aufzuhalten!“
„Wie willst du das denn schaffen?“, wunderte sich Oto.
„Keine Angst, Oto, ich habe da besondere Fähigkeiten…“ Sie grinste nur noch und winkte Oto beiseite.
Sayoko wurde nervös. Sie war unsicher ob sie das wirklich schaffen konnte und ob ihre Fähigkeiten für so was ausreichten.
Von einem Ring aus Feuer umschlossen standen sie sich nun gegenüber. Ryoma wurde ein wenig heiß, aber schwitzte noch lang nicht so viel wie Akanjo.
‚Wenn das so weiter geht, geht das Schiff unter! Ich denke mal, dass alle Passagiere schon in Panik von Gang zu Gang rennen! Ich… muss etwas unternehmen!‘, dachte sich Ryoma.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als Akanjo zu besiegen und danach das Feuer zu löschen. Ryoma spürte plötzlich eine Menge an Energie in sich, er konnte einfach nur gewinnen.
„Mach dich bereit zu sterben! Mein Name wird der letzte sein, den du je gehört hast!“, rief Ryoma siegessicher.
„Das hättest du wohl gerne! Ha… ha… hahahahaha!“, lachte sein Gegner. Ohne zu Blinzeln nahm Ryoma sein Schwert fest in die Hand und rannte direkt auf Akanjo los. Er gewann mehr und mehr an Kraft und auf einmal fing sein Schwert an zu brennen. Wie konnte denn das sein? Vor lauter Heldengefühle bemerkte das Ryoma gar nicht, er rannte einfach weiter auf ihn zu. Akanjo hob noch sein Schwert, doch Ryoma war ihm zuvorgekommen. Er schaffte es, mit seinem Schwert zuerst zu zustechen. Der Sieg war sicher. Akanjo fiel auf den Boden, hielt sich die verwundete Brust und presste seine letzten Worte raus: „Wie… heißt… du… Schwertkämpfer?“
Ryoma wandte sich von ihm ab und meinte stöhnend: „Herr des Schwertes, Ryoma Sakamoto…“
Man hörte in diesem Moment nur noch das knisternde Feuer, dass mehr und mehr an Fläche gewann.
„Jetzt muss ich mich um den Brand kümmern!“
Er hatte seinen Kraftschub verloren, schnaufte ein wenig, und bewegte sich nun den Flammen entgegen. Sein Schwert leuchtete immer noch ein wenig und komischerweise gingen die Flammen zurück, als das Schwert in deren Nähe war.
‚Was… ist das?‘, wunderte er sich. Ryoma versuchte es weiter. Wieder nahm er das Schwert, hob es den Flammen entgegen und schon wurden sie weniger.
„Das ist ja mal krass!“, rief er laut dem Himmel entgegen, „So… und nun den Rest des Brandes!“
Der Typ bewegte sich auf Ginta zu. Langsam nahm er sein Messer zum Mund und leckte es ab. Ginta wusste nicht, ob dieser Typ ein vollkommener Psychopath war oder einfach nur verrückt.
„Wenn du es so haben willst!“, warnte Ginta. Das Mal fing wieder an, sich bemerkbar zu machen. Es brannte. Ginta konzentrierte seine Kräfte und versuchte seine vorhandene Energie richtig zu nutzen. So wie das Schicksal es wollte, leuchteten seine Hände wieder blau auf und Energien durchströmten seinen Körper mit einer immensen Kraft. Schlag auf Schlag überschlugen sich die nächsten Ereignisse. Ohne jegliche unnötige Worte zu verlieren, sprintete Ginta auf seinen Gegner zu. Er spürte keine Wut, keinen Hass, noch nicht mal irgendwelche anderen Gefühle in sich. Er wusste einfach, dass er das hinter sich bringen musste. Irgendetwas musste das gewesen sein, das ihm totale Sicherheit schenkte. Die Bewegungen der beiden konnte man mit Choreographien vergleichen. Jeder wich geschickt den Angriffen des anderen aus.
„Wie… heißt du? Du kämpfst gut!“, fragte der Unbekannte schnaufend.
„Verrate mir… erst deinen Namen!“, erwiderte Ginta keuchend.
„Jeder nennt mich… Chudoku!“
„Was für ein blöder Name!“
Darauf reagierte Chudoku sofort, er schmiss sich auf den Boden und attackierte Ginta von dort aus. Besser gesagt, er bewarf ihn mit seinem Messer. Ginta schaffte es gerade noch hochzuspringen und der Attacke auszuweichen. Nun hieß es Mann gegen Mann. Keiner hatte eine Waffe und es schien, als ob Ginta klar im Vorteil war. Leider dachte er das auch und wog sich auf die sichere Seite. Unvorhersehbarerweise griff Chudoku in seine Hosentasche und holte etwas Kleines, Rundes heraus, das er sofort auf den Boden schmiss. Es war eine Rauchbombe! Dicke Rauchschwaden machten sich in dem Raum breit, Ginta konnte gar nichts mehr erkennen. Das Einzige, was er hörte, war die Stimme von Chudoku: „Du wirst mich nie finden! Keheheheh!“
Das brauchte Ginta auch gar nicht. Er streckte seine Arme in die Luft, konzentrierte sich und war in der Lage etwas zu spüren. Jedes Mal, wenn er sich durch den Raum bewegte, bewegte sich auch die Luft mit. Genau das konnte Ginta spüren. Er konzentrierte sich weiter, sammelte all seine Kraft und in seinen Händen entwickelte sich eine kleine Energiekugel. Chudoku bewegte sich nun von hinten auf Ginta zu, dieser jedoch drehte sich blitzschnell um und drückte ihm diese Energiekugel gegen die Brust. Mit einem Schlag wurde Chudoku gegen die Tür geschleudert, die dadurch komplett zerstört wurde. Gintas Mal hörte auf zu brennen und sein Körper beruhigte sich wieder. Erleichtert ging er zu den Matrosen, band sie los und verließ die Brücke. Die Matrosen kümmerten sich gleich wieder um die wertvollen Messgeräte und um das Steuern.
„Warum… „, wunderte sich Ginta, „…gibt es so viele Menschen auf der Welt, die etwas Böses machen?“
Er streifte sich den Dreck von der Hose und zog sein Sakko wieder an.
Osoro brauchte nur seinen Zeigefinger nach hinten drücken um eine weitere Rakete abzufeuern. Oto und Sayoko waren sich sicher, dass es gleich geschehen musste. Die Spannung lag förmlich in der Luft, die vorhandene Nervosität hatte kein Ende. In jeder Sekunde konnte er so eine Rakete abfeuern. Sayoko machte sich bereit, indem sie Energie in sich sammelte. Oto stand nur fassungslos daneben und wartete ab. Das Rauschen des Meeres wurde immer lauter und lauter. Oto spürte etwas Merkwürdiges, was sich auf das Schiff zu bewegte. Eine große Welle schlug gegen eine Seite des Schiffes und brachte es zum Schwanken. Es schwankte so heftig, dass Sayoko hinfiel. Auch Osoro rutschte vom Schornstein und drückte aus Versehen auf den Abzug. Eine Rakete schoss wieder heraus und ihr Ziel war Oto! Osoro fiel direkt in die Tiefen des Meeres. Man vernahm nur noch ein Platschen und das war es mit ihm. Die Zeit verlangsamte sich, Oto konnte die Rakete in ihrem Flug gut erkennen. Ihr schossen auf einmal Bilder ihrer Großmutter durch den Kopf, Bilder von Ginta, Ryoma und Myu. Sie sah auch all die Personen, die sie bisher auf ihren Reisen kennen gelernt hatten. Sie bekam keine Luft mehr. Ihr Herz schien stehen geblieben zu sein. Sie musste jetzt all ihren Mut sammeln, sich zusammenreißen. Irgendwie musste sie es doch schaffen, diese verdammte Rakete aufzuhalten! Oto fing an zu weinen. Es musste doch einen Weg geben! Wie in Zeitlupe näherte sich die Rakete Oto. Sie wollte schreien, konnte aber nicht, da ihr die Stimme wegblieb. Sie kam immer näher, immer näher, und Oto wurde immer mutloser und verzweifelter. Nun war es soweit, die Rakete war kurz vor der Berührung mit Oto, doch diese bekam plötzlich einen mächtigen Kraftschub, den sie in eine Art Trance versetzte. Als ob sie das Wasser befehlen konnte, schleuderte sie eine Menge Meerwasser, welches sich zu einem Turm formte, gegen die Rakete. Daraufhin wurde sie ins Meer geschleudert und explodierte, ohne Schaden zu verursachen. Oto kam wieder zu sich. Anscheinend hatte sie es geschafft! Ihr wurde nun alles klar. Diese Vorhersage, die sie von Sayoko erhalten hatte, erklärte sich nun. Sie rettete einen Haufen von Menschen… und es war in der Tat nass. Sanft ließ sie sich auf ihre Knie nieder. Alles war gerettet. Kein Feuer mehr auf dem Schiff, alle Passagiere waren heil und nichts war zerstört. (Ja gut, die Tür zur Brücke wurde ein wenig verbeult, aber was soll’s.) Ginta und Ryoma machten sich schon Sorgen um Oto, der es aber letztendlich gut ging. Die beiden trafen nun auf sie und erzählten sich vom Geschehenen. In diesem Moment kam Relid die Treppe hoch gestürmt und wollte sich nach der Lage erkundigen. Als er von der guten Botschaft hörte, war er erleichtert und erzählte davon, dass auch den ganzen Passagieren nichts passiert war. Abermals bedankte er sich herzlich bei den dreien und kümmerte sich nun noch um andere Dinge. Die Sterne glitzerten heller denn je in dieser Nacht. Ginta, Oto und Ryoma zogen sich in ihre Suite zurück und schliefen ein. Keiner von ihnen hatte an einem Tag so viele neue Kampferfahrungen gesammelt als an diesem.


Kapitel 19 – Myus Aufstand

Es war mal wieder eine unruhige Nacht für Ginta. Er wälzte sich in seinem Bett hin und her, schwitzte und träumte wieder etwas. Dieser Traum war anders als die vorherigen. In diesem Traum ging er eine Allee entlang. Links und rechts standen riesige Kirschbäume, die in ihrer vollen Blütenpracht standen. Die kleinen Steinchen des Weges, auf dem er ging, knirschten unter den Schuhen von Ginta. Ein leichter Wind wehte ihm durch sein Haar. Unsicher bewegte er sich die Allee entlang, ohne zu wissen, was auf ihn zukommen würde.
‚Wo… wo bin ich hier?‘, wunderte er sich. Der Wind wendete. Plötzlich sah Ginta einen Schatten hinter einem der großen Kirschbäume.
„Wer ist da?“, fragte er, doch der Schatten verschwand.
„Ginta…“, wisperte eine undeutliche Stimme, „Ginta…“
„Wer ist da?“, wiederholte er und sah sich noch einmal gründlich um. Weder sah er eine Person, noch einen Schatten.
Ein weiteres Mal drehte der Wind und Ginta spürte auf einmal eine warme, angenehme Energie.
„Wer…“ Das war sein letztes Wort, bis eine zärtliche Hand ihm einen Finger auf die Lippen setzte.
„Psst…“, flüsterte diese unbekannte Stimme.
Ginta konnte merken, dass es ein Mädchen sein musste. Sie drückte ihren Körper sanft gegen den von Ginta. Ihre Hände strichen seine Brust entlang. Sein Herz klopfte in einem wilden Rhythmus.  Er bekam eine richtige Gänsehaut und wusste nicht, was mit ihm geschah. Es fühlte sich ungewohnt und komisch an, aber Ginta wollte nicht, dass es aufhörte. Sie fing nun an, ihm etwas in sein Ohr zu flüstern, doch Ginta verstand kein einziges Wort. In dem nächsten Augenblick kam ihm ein mächtiger Windstoß entgegen, der ihn fast umgeworfen hätte. Sie war weg. Ginta stand nun wieder allein in dieser Allee und musste zusehen, wie die Kirschbäume all ihre Blüten verloren. Wie in Zeitraffer veränderten sich die Bäume, wie sie es in den verschiedenen Jahreszeiten taten. Ginta musste sich die Augen reiben. Er sah sich wieder in der Allee um. Zu seiner Verwunderung lag Schnee und die Bäume waren kahl. Er fror keineswegs, denn die angenehme Energie war immer noch da. Im nächsten Moment schmolz das ganze Eis und wurde zu Wasser. In dem Wasser schwammen die Blüten der Kirschbäume. Die Sonne ging unter und tauchte alles in ein dunkles orange-rot. Kleine Wellen entstanden und es dauerte nicht lange, da türmte sich das Wasser zu einer riesigen Säule auf. Diese steuerte direkt auf Ginta zu.
„Was ist los!?“, fragte er erschrocken und sprang aus seinem Bett. Myu die auf ihm lag hatte ihm das Gesicht geschleckt. Enttäuscht lag sie nun auf dem Boden und sah zu, wie Ginta sich beschwerte.
„Myu! Wieso machst du so etwas? Lass mich doch schlafen! Ich hatte eine harte Nacht!“ Ginta gähnte.
„Was ist denn hier los?“, fragte Oto, die gerade aufgewachte.
„Myu hat mich aufgeweckt!“, erklärte Ginta.
„Lass sie doch, du weißt doch, dass sie dich voll verehrt“, sagte Ryoma und flüsterte noch: „Im Gegensatz zu mir…“
Myu stürmte in diesem Moment aus dem Zimmer.
„Myu! Das war nicht so gemeint!“, rief Ginta noch hinterher. Aber sie war nun weg. Allein auf diesem riesigen Luxuskreuzers unterwegs. Myu rannte den Gang entlang und hüpfte die ersten Stufen hinauf zu Deck 4. Sie stand nun da. Hektische Menschen kamen ihr entgegen. Eine Frau trat ihr sogar fast auf den Schwanz. Instinktiv sprang sie zur Seite, um dem gerade noch auszuweichen. Nun schnupperte sie ein wenig am Boden entlang, roch aber schließlich nichts Interessantes. Sich umschauend ging Myu nun auf den Sportbereich zu. Dort herrschte etwas weniger Andrang als in der Vorhalle. Verschiedene Menschen trainierten dort. Myu konnte durch diese Sporthalle durchlaufen, ohne bemerkt zu werden. Die Geräusche, die in diesem Raum zu hören waren, waren für Myu doch ein wenig unangenehm. Das laute Klacken, das Stöhnen, die Geräusche der ganzen Geräte waren einfach viel zu viel für sie. So lief Myu gleich der großen Treppe entgegen. Leider war diese Treppe etwas länger als die vorherige. Diese hochzuspringen strengte Myu sehr an. Man merkte, dass sie sich von ihrer Seekrankheit noch nicht richtig erholt hatte. Oben angekommen, machte sie erstmal eine kurze Pause und legte sich neben die Treppe auf den Boden. Noch war niemand zu sehen, der sie hätte entdecken können. Voller Neugierde, was auf diesem Deck alles war, stand sie nun wieder auf und ging das Promenaden-Deck entlang. Keine Menschenseele war auf diesem Deck unterwegs, ein Vorteil für Myu, die sich ungestört alle Schaufenster anschauen konnte. Man hätte fast denken können, dass sie ein Mensch war, so wie sie die Schaufenster ansah. Auf einmal blieb sie stehen. In dem Schaufenster waren wunderschöne Abendkleider und andere Kleidung zu sehen. Ihre Augen weiteten sich, als sie zu einem weißen Kleid hinauf sah. In diesem Moment öffnete sich die Tür dieses Shops und nach einigen Sekunden kamen eine Horde Frauen angerannt, die sich in den Laden drängten. Der Grund war einfach, dass der Besitzer am gestrigen Abend einen Sonderverkauf angekündigt hatte. Gerade noch schaffte es Myu vor dieser Menge davon zu sprinten, sonst wäre sie sicherlich zerquetscht worden. Enttäuschung machte sich in ihr breit und sie zog weiter ihre Wege. An der letzten Treppe angelangt, packte sie plötzlich jemand am Nacken.  Sie wehrte sich, schlug mit ihren Beinen um sich wie wild. Nach einem Moment merkte sie, dass sie nur hochgehoben wurde, sonst nichts. Wieder beruhigt sah sie sich diese Person an. Zu ihrer Verwunderung erkannte sie, dass es ein Matrose war.
„So aber nicht, meine Kleine. Das Oberdeck ist nichts für kleine zarte Kätzchen wie dich“, sagte dieser mit einer sanften Stimme. Das war zu viel des Guten. Myu kratzte ihm das Gesicht, sodass er sie fallen lassen musste. Ohne jegliche Zeit zu verschwenden, rannte sie nun das Promenaden-Deck zurück in die Richtung, aus der sie kam. Als sie die erste Stufe der Treppe erreichte, holte sie kräftig Schwung und sprang die Treppe mit einem Mal hinunter. Während des Aufkommens rutschte Myu aus und schlidderte den Boden entlang. Nun reichte es ihr! Voller Wut im Bauch rannte sie nun weiter den Gang entlang. Ein paar Leute schrien noch Sachen wie dies hinterher: „Da ist eine Katze!“, „Wem die wohl gehört?“ oder „Die schaut ja aus, als hätte sie ein Hund gebissen.“
Nach nicht allzu langer Zeit entdeckte sie den Lagerraum. Die Tür stand glücklicherweise offen. Langsam schlich sie sich ins Dunkle und legte sich in eine Ecke. Die ersten Tränen konnte sie gerade noch unterdrücken, aber dann wollte es einfach nicht mehr aufhören. Wieso musste das denn ihr passieren? Sie wollte sich doch nur an Ginta kuscheln, aber das ganze endete in einem Kuddelmuddel ihrer Gefühle. Die ganzen Menschen, das war einfach zu viel für sie. Warum wurde sie immer verjagt? Sie war doch einfach nur eine kleine, zärtliche Katze.
 
„Myu! Myu, wo bist du denn nur?“, rief Ginta durch die Gänge, „Warum finde ich sie denn nicht? Schau mal, ich habe sogar dein Lieblingsfutter mit dabei!“ Ginta machte sich langsam Sorgen. Er wollte nicht, dass Myu etwas zustieß. „Myu!?“, rief er noch einmal, als er an dem Lagerraum vorbeilief. Das Mal fing plötzlich an, sich bemerkbar zu machen. Ginta wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Das Komische war nicht, dass Ginta stehen geblieben war und seine Augen schloss, sondern, dass er plötzlich etwas in sich spürte. Es waren Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung. Genau das, was Myu gerade in diesem Moment spürte. Auf einmal waren diese Gefühle weg. Ginta wusste nicht genau, was gerade passiert war, auch nicht, was er als Nächstes tun sollte, aber eine unheimliche Kraft zwang ihn dazu, in diesen Lagerraum zu gehen. Als er Myu auf dem Boden liegen sah, durchfuhr ihn ein schrecklicher Schock. Sie konnte doch nicht tot sein? Er nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust.
„Bin ich erleichtert… Sie atmet noch…“
Im folgenden Moment drehte sich die schlafende Myu auf die andere Seite und lag auf Gintas Hand. Dieser setzte sich dann neben Myu und kraulte sie mit der freien Hand.
„Es tut mir Leid, Myu. Ich wollte nicht zu fies zu dir sein…“, entschuldigte er sich. Leise schnurrte sie und Ginta sah ihr zu, wie sie schlief.
 
Währenddessen hielt sich gerade jemand anderes den Kopf.
„Verdammt, was ist passiert?“, fragte Sayoko sich und schaute sich um. Das Zimmer war weiß gestrichen und sah ziemlich steril aus. Musste ja auch steril sein, denn es handelte sich um das Krankenzimmer.
„Mein Kopf… Aua… Was ist… passiert?“, fragte sie sich noch mal und da fiel es ihr plötzlich ein, „Diese Göre… Die, die mir das Geld schuldet! Die hat… Was hat die gemacht?“
„Sie sollten sich ausruhen“, sagte eine Schwester die gerade das Zimmer betrat, „Sie hatten wohl eine schwere Nacht.“
„Ich habe nicht gesoffen, falls sie auf das hinaus wollen!“, sagte sie wütend und stand auf.
„Ich sagte doch ausruhen!“
Im nächsten Moment fiel Sayoko schon wieder zurück ins Bett.
„Aua!“
„Hier ist ihr Schmerzmittel…“, sagte die Schwester und gab Sayoko zwei kleine Tabletten.
‚Obwohl… Im Bett liegen bleiben und sich pflegen lassen, ist auch gut!‘ sagte Sayoko grinsend zu sich selbst und nahm zu den Tabletten einen Schluck aus dem großen Glas Wasser, das neben dem Bett stand.
‚Um diese Gören kann ich mich auch noch kümmern, wenn wir am Hafen angelangt sind‘, dachte Sayoko.
„Ich hätte dann gerne noch ihren Passagierausweis“, fügte die Schwester hinzu.
Als Sayoko das hörte, verschluckte sie sich an dem Wasser und sagte laut hustend: „Der muss wohl von Bord gefallen sein, nach dem Vorfall gestern Abend!“
„Wenn das so ist…“
‚Noch mal Glück gehabt, Sayoko…‘
Seelenruhig schlürfte sie an ihrem Wasser weiter.
„… dann muss ich wohl in der Rezeption nachfragen“, sprach die Schwester zuende. Wieder verschluckte Sayoko sich.
„Ach…“, fing sie nervös an, „Ich habe den Ausweis gestern doch in meinem Zimmer liegen lassen.“
„Dann sagen Sie mir die Nummer, ich hole ihn.“ Die Schwester blieb hartnäckig an der Sache dran.
„Aber ohne einen Schlüssel kommen Sie nicht hinein! Den habe ich nämlich über Bord fallen lassen, aus Versehen… meine ich.“
„Das ist kein Problem. Zu jedem Zimmer gibt es einen Zweitschlüssel“, sprach die Schwester weiter.
„Nein, zu meinem nicht… Ich habe nachgefragt, weil… Weil ich meinem Freund den zweiten geben wollte!“, behauptete Sayoko, die langsam ins Schwitzen kam. Wenn das so weiter ging, fielen ihr bald keine Lügen mehr ein.
„Dann kann der schiffseigene Hausmeister bestimmt einen Zweitschlüssel machen.“
‚Kann die nicht endlich aufhören!?‘ Innerlich raste Sayoko schon vor Wut.
„Ich habe gehört, dass er krank sei und nicht aushelfen kann“, log Sayoko, um sich zu schützen.
„Aber…“, widersprach die Schwester, bis sie durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen wurde. Der Hausmeister trat ein und wurde von der Schwester in Empfang genommen.
„Ich habe hier Ihr Mikroskop, das ich reparieren sollte“, sagte der Hausmeister. Sayoko konnte nur noch verdutzt schauen und wartete, bis die Schwester abgelenkt war. Unauffällig packte sie ihre Sachen und verschwand, als die Schwester gerade in den Nebenraum ging, um dort das Mikroskop zu verstauen. Als sie zurückkam, wunderte sie sich, wo ihre Patientin geblieben war.
‚Das ist ja noch mal gut gegangen‘, dachte sich Sayoko, die aber nun unter Verfolgungswahn litt.
‚Wenn die mich findet, bin ich dran… Nun brauch ich ein neues Versteck.‘
Als sie den Gang entlang lief, um sich ein neues Versteck zu suchen, kamen ihr zwei Matrosen entgegen, die sich über die Ankunftszeit unterhielten.
„Morgen früh sollten wir in Saihyô ankommen“, behauptete der eine.
„Wirklich? Ich dachte, dass wir heute Abend ankommen“, erwiderte der andere.
„Ja, aber durch den Vorfall von gestern hat sich das Ganze zeitlich etwas verschoben. Einer der drei Banditen hat ja das Steuer übernommen. Laut Aussagen von den Leuten der Brücke hat er die Route etwas nach Westen verschoben und wie du weißt, liegt Saihyô Nord-östlich.“
„Ja, stimmt…“, meinte der Andere.
Über was sie sich noch unterhielten, konnte Sayoko nicht mehr verstehen.
 ‚Saihyô also. Das ist doch diese Stadt, mit dem vereisten Hafen, oder? Mh… Dachte nicht, dass ich dort nochmal ankomme…‘
Sie ging weiter. Ihr Weg führte sie an einem leeren Raum mit einem Bett vorbei, der natürlich nicht unbeachtet blieb. Neugierig ging sie in das Zimmer und schloss mit dem Riegel von innen ab.
„Glück gehabt, Sayoko, der Tag ist voller Überraschungen…“, sie legte sich in das Bett und schlief ein.

 


Kapitel 20 – Hafenstadt Saihyô, Schnee und Berge

Sanft schwebten die ersten kleinen Schneeflocken auf das 2. Deck hinab. Je näher das Schiff dem Hafen kam, desto mehr Schneeflocken wurden es. Der Schnee knirschte unter den Füßen von Oto. Ihr Atem wurde sichtbar und es wurde auch immer kälter.
„Ginta? Wo bist du? Wir legen bald an!“, rief sie über das Deck, doch sie bekam keine Antwort. Sie stieg die Treppen wieder hinab um weiter nach ihm zu suchen. Auf den Decks waren nicht mehr viele Personen unterwegs. Es war ja auch nur noch eine Stunde übrig, alles zusammenzupacken und sich fertig zu machen. Oto lief nun weiter die Gänge entlang. Nach nicht allzu langer Zeit kam ihr Ryoma entgegen, der auch nach Ginta suchte. Sie standen genau vor dem Lagerraum, indem Ginta war.
„Warte mal…“, bat Ryoma, „Hörst du das Schnarchen?“
Oto hörte nun genauer hin und antwortete: „Ja…. Ginta?“
Ryoma legte seine Hand auf den Griff der Tür, bewegte sie nach unten und öffnete diese. Das Schnarchen wurde lauter. Oto konnte es nicht fassen. Ginta lag seelenruhig auf dem Boden, mit Myu im Arm und schlief. Doch Ginta war nicht der, der schnarchte, es war Myu.
„Diese zwei….“, kicherte Oto, „Die haben sich echt gern.“
„Das muss man ihnen lassen!“, lachte Ryoma. Er schlich sich langsam an Ginta heran, beugte sich zu ihm runter brüllte: „Ginta! Wir legen gleich an! Sollen wir ohne dich gehen?“ Dieser sprang sofort auf und hielt sich den Kopf: „Oh nein! Ihr… wollt doch nicht ohne mich… Oto..“, er kam zur Ruhe, „Ryoma? Was macht ihr denn hier?“
„Wir legen gleich ab, Ginta“, antwortete Oto, „Beeil dich.. du musst noch dein Zeug zusammenpacken.“
Ryoma stand da und hielt sich den Bauch vor Lachen. Er fand es anscheinend witzig, wie Ginta auf einmal aufgesprungen ist. Er schaute zu Boden, dort stand Myu, mit einem wütenden Blick in den Augen. Ryoma wusste sofort, was nun kam und es kam auch. Myu sprang auf sein Gesicht und kratze wild darauf herum.
 
Ginta, Oto und Ryoma hatten ihre Sachen gepackt und waren nun auf dem Weg ans Oberdeck. Der Schnee war schon hoch und es wollte einfach nicht mehr aufhören zu schneien.
„Es ist ganz schön kalt“, meinte Ginta und wickelte sich fester in seinen Umhang.
„Da hast du Recht. Brrrr“, schloss sich Ryoma an.
„Euch macht doch das bisschen Kälte nichts aus!“, sagte Oto mit einem angeberischen Unterton.
„Mir doch nicht!“, prusterte sich Ryoma auf.
„Ich hasse Schnee… und Winter…“, fügte Ginta zu.
„Ich finde es schön, wie die kleinen Schneeflocken vom Himmel fallen und alles, aber auch alles in ein wunderschönes, glänzendes Winterland verwandeln…“, schwärmte Oto.
„Daran kann ich mich nicht anschließen“, erwiderte Ginta, „Lasst uns wieder ins untere Deck gehen, mir wird es zu kalt hier…“
Ryoma nickte nur und folgte Ginta die Treppen abwärts. Oto blieb noch eine Weile stehen und betrachtete den Hafen, den sie bald erreichten. Es würde sicherlich nicht mehr lange brauchen, bis sie endlich anlegten. Myu starrte gebannt auf den Hafen. Irgendetwas beunruhigte sie.
 
Auf dem Weg, zu ihrer Suite, trafen die drei noch auf Relid.
„Ah, ihr seid wohl auf dem Weg zu eurer Suite, richtig? Wir legen ja auch schon bald an. Ihr solltet euch fertig machen“, merkte er an.
„Ja, das haben wir auch schon bemerkt, der Hafen ist schon zu sehen“, meinte Ginta.
„Sagen sie mal, wie heißt denn der Hafen?“, erkundigte sich Oto.
„Die Stadt, in der wir anlegen, heißt Saihyô. Eine nettes Örtchen, bekannt für die schönen Schneelandschaften und den Berg, der hinter der Stadt zu sehen ist.“
„Stimmt… Ich habe den auch gesehen, leider nur schwach. Durch den Schneefall kann man ihn leider nicht so gut erkennen“, berichtete Oto.
„Ich möchte euch nochmal danken….. Ihr habt meinen Sohn gerettet und mein Schiff davor bewahrt, unter zu gehen… Ich.. wie kann ich euch danken?“
„Sie…“, meinte Ryoma.
„Sie haben uns doch kostenlos mitgenommen. Das ist dank genug…“, unterbrach ihn Ginta. Er kramte in seiner Tasche herum, seufzte und sah bedrückt zu Boden.
„Ginta..“, wunderte sich Oto.
„Wir haben kein Geld mehr!“, schluchzte er. Daraufhin suchten Oto und Ryoma auch ihre Rucksäcke durch und sahen ebenfalls bedrückt zu Boden.
„Wir können uns nichts mehr zu Essen kaufen!“, beschwerte sich Ryoma.
„Ich kann mir auch keine wärmere Kleidung kaufen! Ich.. erfriere doch“, beschwerte sich auch Ginta.
„Mein Vorrat an Antibiotika und Verbänden neigt sich auch dem Ende“, schloss sich Oto an. Es schien so, als hätten sich die drei ganz in Verzweiflung gestürzt, wäre da nicht noch Relid gewesen, der eine Idee hatte.
„Das mit dem kostenlos überschiffen, ach, das ist doch kein Vergleich zu dem, was ihr gemacht habt! Ryoma, du gehst mal schnell in die Küche und lässt dir vom Lagerchef genug Nahrungsmittel mitgeben. Oto, du gehst zur Schwester und holst dir das, was du brauchst, wir müssen in dieser Stadt sowieso wieder neu aufladen. Ginta, komm mit mir in die Garderobe…“
Ein Lichtblick tat sich für die drei in diesem Moment auf. Keine einzige Sekunde wurde verschwendet und sie machten sich sofort auf den Weg. Ryoma auf den direkten Weg in die Küche, Oto stattete der Schiffsschwester einen Besuch ab und Ginta, gefolgt von Myu, ging zusammen mit Relid zur Garderobe. Ryoma bekam so viele Lebensmittel, dass die drei sich damit locker einen ganzen Monat lang durchschlagen können. Oto packte ihre Tasche voller Medikamente, Verbände und bekam von der Schwester sogar ein Buch geschenkt, in der alle Wirkstoffe von Medikamenten aufgelistet waren. Ginta unterhielt sich noch ein wenig mit Relid über den neuen Kontinent und über das, was er darüber wusste. Er erfuhr, dass Ruterion ein riesiger Kontinent war, der für ihn, voller Überraschungen sein sollte. Er solle auch aufpassen, welche Menschen er trifft. Nicht alle seien so, wie sie scheinen. Ginta konnte aber gar nichts mehr überraschen. Nach dem, was ihm schon widerfahren war. All die Menschen, denen Leid zugefügt wurde. Was war das Ziel der Shal? Ginta wusste es noch nicht. Endlich kamen sie bei der Garderobe an und Relid zeigte ihm gleich versteckt, hinter den Anzügen, einige Klamotten, die schon ziemlich alt aussahen.
„Also… ehm..“, Relid kratzte sich den Hinterkopf, „Wenn du sie einige Zeit lang getragen hast, dann sehen sie wieder wie neu aus“
‚Häh? Also, diese Logik ist ….. komisch‘, dachte sich Ginta. Er war aber doch dankbar, warme Kleidung zu bekommen.
Relid gab ihm eine lange, beige Hose, und dazu, eine winterliche, weiße Jacke (schaut so ähnlich aus, wie ne Snowboardjacke), die er gleich anprobierte. Es passte ihm wie angegossen.
„Ich bin früher durch die Länder gereist. Eines Tages fand ich mein Interesse an der See. Ich gab meine Reisen an Land auf und arbeitete als Matrose. Diese Kleidung hab ich seitdem nicht mehr getragen. Sie… Sie erinnert mich an schöne Zeiten. Sie bringt dir sicherlich Glück“, erzählte Relid.
„Danke Relid, ich bin ihnen sehr dankbar… Sie wird mich nie vergessen lassen, was für einen netten Menschen ich hier getroffen habe“, antwortete Ginta.
 
Nach einer Weile lag das Schiff schon an seinem Pier. Die meisten Passagiere waren schon von Bord gegangen. Ginta, der Myu in seiner Tasche hatte, Oto und Ryoma gingen langsam die Brücke hinunter und gelangten wieder auf festen Boden. Hektisch gingen Matrosen hin und her und beluden das Schiff aufs Neue. Sie sahen noch ein letztes Mal zum Schiff empor und erblickten, wie Relid und seine Frau ihnen winkten. Sie winkten zurück und gingen dann in Richtung Stadt weiter. Ginta fühlte sich in den neuen Sachen viel wohler, denn die Kälte konnte ihm jetzt nichts mehr ausmachen. Grinsend sah er Ryoma an, der sichtlich fror.
„Jetzt reichts…“, meinte dieser, wühlte in seiner Tasche rum und zog ein weiteres Oberteil an. Dann murmelte er: „Jetzt ist es etwas besser.“
Oto lachte nur, denn sie trug ja ein langes Kleid und eine Jacke, weswegen sie nicht fror.
„Oto, wie sieht es aus? Welche Route zum Medizin-Dorf ist die schnellste?“, wollte Ginta wissen.
„Also, ich hab mir schon auf dem Schiff Gedanken darüber gemacht. Es ist so, dass wir erstmal diesen Berg überqueren müssen, wenn wir wieder am Fuße des Berges sind, sollten wir Richtung Nord-Nord-West. Dann gibt es nur noch 6 Städte zu durchqueren und wir sind im Med-Dorf.“
„So einfach?“, wunderte sich Ryoma.
„JA!“, freute sich Oto, „bald werde ich mein Ziel erreichen!“
Sie streckte ihre geballte Faust gen Himmel. Sie schien voller Tatendrang zu sein.
„Dann…. werden wir wohl nicht mehr lange zusammen durchs Land reisen?“, grübelte Ginta und blickte bedrückt zu Boden.
„Ach Ginta..“, sie nahm ihn in den Arm, wobei er rot wurde, „Mach dir doch jetzt keinen Kopf darüber und genieße lieber die Zeit, die wir noch miteinander verbringen können. Und wie heißt es so schön? Man begegnet jedem Menschen zweimal im Leben, hast du das gewusst?“
Er sah ihre in die Augen. Sie steckten nicht voller Freude, nein, er erkannte sogar etwas Trauer in ihren Augen.
‚Das kann doch nicht stimmen. Ich sehe meine Eltern auch kein zweites Mal, oder Großmutter… ‚, dachte Ginta sich und biss sich etwas auf die Zunge. Ryoma klopfte ihm auf die Schulter und meinte: „Kommt, wir sollten weiter….“ So gingen die Freunde weiter die Hauptstraße entlang.
 
Gähnend wachte Sayoko auf, setzte sich hin und überlegte, wo sie war. Sie rieb ihre Augen und stand auf.
„Wo… bin ich hier nochmal?“, sie schaute sich um. Verschlafen blickte sie in den leeren Raum, wo nur ihre Tasche und das Bett waren.
„Ich… bin noch auf dem Schiff!“, brüllte sie und sah durch das Fenster in diesem Raum, „Wir sind ja schon da! Oh, nein! Alle sind schon sicherlich von Bord gegangen!“
Sie packte ihre Tasche, warf sie sich über die Schulter und riss die Tür mit aller Kraft auf. Blitzschnell sauste sie die Gänge entlang, durch die Tür und dann über die Brücke. Die Leute, die ihr entgegen kamen wurden fast umgeschubst, ein Matrose beschwerte sich sogar. Sie lief nun der Stadt entgegen und fragte sich, ob die nicht etwas zu groß sei, um dort nach drei Personen zu suchen. Sie sah sich entmutigt um und blickte auf die Hauptstraße, die ein wenig bergauf ging. Als sie genauer hinsah, erkannte sie wirklich drei Personen, die so wie Oto, Ginta und Ryoma aussahen. Zu ihrem Glück waren sie das auch. Wieder mit Mut erfüllt, rannte sie nun die Straße hinauf und sah, wie die drei in ein kleines Gebäude gingen. Es war eine Touristeninformationsstelle. Oto wollte sich informieren, welcher Weg über die Berge, der beste wäre.
„Also, der sicherste wäre..“, fing die dort zuständige Person an zu erklären, „Nach dieser Stadt, kommt ein Pass, namens Toge Michi. Er wird oft von Händlern oder Bewohnern der Dörfer, die auf dem Berg liegen, genutzt. Daraufhin kommen sie an den Fuß des Berges, der liebevoll von unseren Mitmenschen Shimorita genannt wird. Passt bitte auf, gelegentlich kommt es zu Schneestürmen. Ihr könnt in den Dörfern Unterschlupf finden, die Menschen dort oben sind eigentlich ziemlich nett.“
Gelegentlich machte er kleine Pausen und schlürfte an seinem heißen Kaffee. Oto notierte sich alles auf einen kleinen Notizblock.
„Der sicherste Weg ist es, denn Pfad zur Spitze zu nehmen“, fuhr er fort, „Ist zwar ein bisschen umständlich, aber für euch jungen Reisenden stellt das sicherlich kein Problem dar. Nun gut, wenn ihr an der Spitze angelangt seit, dann ist der folgende Weg einfacher. Ihr geht den Pfad weiter bergab und kommt am Fuße des Berges wieder an. Der restliche Weg ist ausgeschildert.“
„Vielen Dank für diese ausführliche Wegbeschreibung“, bedankte sich Oto und sie verließ zusammen mit Ginta und Ryoma das Gebäude. Gemütlich gingen die drei zum Stadttor, um diese Stadt zu verlassen.
 Sayoko hingegen, steckte gerade wo anders fest. Sie hatte nicht richtig nachgeschaut, in welches Gebäude die drei gingen und ging selber in das falsche. Sie stand in Mitten einer kleine Halle, in der lauter komisch gekleidete Menschen standen und sich unterhielten. Sie wollte nicht wissen, was das war und verschwand wieder so schnell wie es ging. Leider hielt noch ein Mann in einem Kuh-Kostüm auf und versuchte, sie an zu machen.
„Lass mich in Ruhe! Ich will nichts von dir!“, schrie sie ihn an.
„Ab´er nain, ab´er nain. So lassé isch nischt mit mir ümgähen!“, sagte dieser mit einem komisch klingenden Akzent. Sayoko reichte es. Sie wolle doch nur ihr Geld haben, aber nein, was musste sie denn schon alles durchmachen. Sie wusste es selbst nicht einmal, wieso sie den drei Gören hinterherlief. Sie ballte ihre Faust und schlug ihm in die Magengegend.
„So, das haste jetzt davon! Wehe du belästigst mich noch einmal!“, betonte sie. Wütend verließ sie nun dieses Gebäude und sah sich um. Total genervt seufzte sie.
„Nicht schon wieder!“, sie schlenderte die Straße weiter hinauf, „Jetzt sind die schon wieder weg…“


Kapitel 21 – Endloser Schneefall, am Fuße des Shimorita

Es schneite ununterbrochen weiter. Ginta, Oto und Ryoma kamen der Schlucht immer näher. Die drei konnten den Eingang schon entdecken.
„Da drüben! Da ist der Eingang“, meinte Oto begeistert. Merklich wurde es immer kälter und Myu kuschelte sich noch tiefer in die Tasche von Ginta, der sich selbst tiefer in seine Jacke kuschelte.
„Dir ist doch nicht etwa kalt?!“, fragte Ryoma spöttisch und sah verliebt zu Oto, die aber begeistert durch diese schöne Schneelandschaft wandelte. Dabei schubste Ryoma Ginta ein wenig, der lief aber gerade auf einer kleinen Eisfläche und rutschte daraufhin aus. Direkt mit dem Gesicht landete er im Schnee, Myu ebenfalls. Total genervt stand er auf und wischte sich den Schnee aus dem Gesicht. Es sah fast so aus, als würde dieser auf seinem Gesicht verdampfen, so wütend war Ginta in diesem Moment.
„Ryoma!? Was soll das!?“, brüllte er so laut, dass der Schnee von den Bäumen fiel.
„Hey, bleib ruhig, Ginta… Es ist doch nur Schnee… Wunderschöner Schnee…“, liebäugelte Ryoma Oto.
„Das ist nicht lustig! Du weißt, dass ich Schnee hasse… Mein Gesicht ist jetzt eiskalt!“
Was Ryoma nicht wusste, war, dass Myu auch aus ihrer schönen, warmen Tasche gefallen und direkt im Schnee gelandet war. Ebenfalls wütend sprang sie auf einmal auf Ryomas Gesicht und kratzte wild darauf herum, bis Ginta sie am Nacken packte und wieder in die gemütliche Tasche legte.
„Warum muss mir das immer passieren!?“, heulte Ryoma, der seine neue erworbenen Kratzer genau untersuchte. Oto bekam von alldem nichts mit, denn sie beobachtete die bezaubernden Schneeflocken, die Stück für Stück dem Himmel entglitten. Nach wenigen Minuten stiller Wanderung durch diese Schneelandschaft kamen sie endlich am Eingang der Schlucht an. Auf einem Schild stand geschrieben: „Toge Michi, Pfad zum Berg Shimorita. Vorsicht, es können jederzeit Blizzards oder andere Schneestürme entstehen. Informieren Sie sich gründlich, bevor sie den Toge Michi betreten!“
Erstaunt sahen alle drei auf dieses Schild, blickten sich dann gegenseitig an und zuckten mit den Schultern.
„Auf geht’s…“, stöhnte Ginta.
„Los, Otochen! Auf geht’s“, grinste Ryoma und lächelte auch Ginta an, der sich daraufhin beleidigt abwandte.
„Das wird so super! Der ganze Schnee und ein Berg! Ein riesiger schöner, schneebedeckter Berg! Ach, Ginta, ich finde es so cool, dass du mich mit auf diese Reise genommen hast!“ Oto war schon kurz davor, Ginta zu umarmen, dieser räusperte sich aber nur einmal und lief stur weiter.
‚Je schneller wir diesen Berg überqueren, desto schneller ist der Schnee weg…‘, dachte er sich.
„Hey, Ginta! Warte doch!“, rief Ryoma hinterher. So bahnten sich die drei nun den Weg durch den Toge Michi. Und es wollte einfach nicht zu schneien aufhören, was Oto nichts ausmachte, doch umso mehr dafür Ginta. Ryoma versuchte wieder, sich an Oto heranzuschmeißen, wobei er weniger Erfolg hatte.
 
Der Weg durch den Toge Michi war ziemlich anstrengend. Schmale Wege, riesige Felsbrocken und der starke Schneefall erschwerten den dreien die Reise. Oto kramte noch mal die Karte aus ihrer Tasche, um zu überprüfen, wie lang der Weg bis zum Shimorita noch war. Langsam wurde es auch ihr ein wenig zu kalt.
„Es ist nicht mehr weit, höchstens eine halbe Stunde Fußmarsch…“, erklärte sie. Ginta grummelte.
„Gut“, murmelte Ryoma.
Dieser Weg schien wirklich lang. Die Kurven und Abzweigungen, die manchmal kamen, sorgten für keine Abwechslung, auch nicht die Schneehasen und -füchse die hier und da einmal durch die verschneite Schlucht schlichen. Still und ohne jegliche Worte zu verlieren, stapften Ginta, Oto und Ryoma durch die Schlucht, mit der Hoffnung, endlich diesen Berg zu erreichen.
 
In der Zwischenzeit erfuhr auch Sayoko über den Plan der drei und folgte ihnen sofort. Fest in ihren langen, schwarzen Mantel eingewickelt, bahnte auch sie sich ihren Weg durch den hohen Schnee.
‚Wenn ich diese Gören erwische…‘, dachte sie, ‚…werden die mir den fünffachen Preis abdrücken! Warum verfolge ich sie eigentlich? Den kleinen Betrag, den die mir schulden, bringt es doch nicht… Aber jetzt ist es schon zu spät… Das Risiko, auf einer Fähre zurück nach Vernezye entdeckt zu werden, ist zu hoch…‘
Ihr Magen gab ein tiefes und langes Geräusch von sich.
‚Nicht auch noch das! Ich hätte am Abendbuffet mehr essen sollen… Das hast du nun davon, Sayoko.‘
Verzweifelt kaute sie nun auf ihrem Kragen herum. Die Frage, warum sie nicht wieder zurückreiste, war wirklich schwer, anscheinend unlösbar für sie. Früher hätte sie sich einfach in irgendeinen abgelegenen Raum geschlichen und wäre als blinder Passagier mitgereist. Das hatte sie ja schon einmal geschafft. Aber nun fehlte ihr der Mut dazu. Zudem lenkten Ginta, Oto und Ryoma sie zu sehr ab. ‚Hier war ich doch schon mal‘, wunderte sie sich, ‚Aber… Das ist schon lange her… Ironie des Schicksals, dass ich genau diesen Weg zurückgehe, wie vor Jahren…‘
 
„Da… Da… ist das das Ende!?“, fragte Ginta.
Oto sah noch mal auf ihrer Karte nach: „Hmm… Das ist tatsächlich das Ende!“
„Beeilt euch!“, rief Ginta und rannte drauf los.
„Warte doch, Ginta!“, schrie Ryoma ihm hinterher und folgte ihm.
„Jungs…“, säuselte Oto.
Endlich hatten sie die Schlucht durchquert und standen inmitten eines Pfades, der zur Bergspitze führen sollte. Leider war der Schneefall auch dort zu dicht, um auf die Spitze sehen zu können. Selbst den Pfad erkannten sie nur bis einige hundert Meter vor sich.
„Los, los, los! Kommt, ich will jetzt unbedingt auf die Spitze des Berges!“, log Ginta, der vor Energie nur so strotzte.
„Wieso so begeistert?“, hakte Oto nach.
„Das wirst du dann sehen, wenn wir oben sind“, grinste er und stapfte weiter durch den Schnee.
Ryoma und Oto sahen sich verwundert an und folgten ihm. In die Fußspuren, die Ginta hinterließ, passte Oto perfekt rein, es war sogar noch ein wenig Platz übrig. Ryoma jedoch vergrößerte sie mit seinen Füßen. Leider verschwanden diese Spuren schon nach einigen Minuten im Schnee, somit hatte es Sayoko etwas schwerer, ihnen zu folgen. Aber dies störte sie scheinbar nicht. Gelangweilt ging sie durch die schneebedeckten Wege des Passes. Nicht einmal die Tiere, die ab und zu einmal vorbeihuschten, konnten sie aufmuntern. Sie war ja dafür auch viel zu abgelenkt.
‚Was mache ich nur immer falsch in meinem Leben? Ich konnte doch damals nichts dafür… Er… Er war einfach zu brutal zu mir gewesen. Wäre das nicht geschehen, hätte ich nicht mein restliches Leben auf der Straße verbracht… Jetzt mich wieder meiner Heimat zu nähern… Ich will nicht daran denken…‘, seufzte Sayoko in Gedanken.
 
Nach einiger Zeit der Wanderung kamen schon die ersten Beschwerden.
„Wann sind wir endlich daaa?“, stocherte Ryoma herum.
„Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, dass, wenn wir das nächste Dorf erreichen, wir eine Pause einlegen werden!“, beschwerte sich Oto, die langsam wütend wurde.
Ginta hingegen schlenderte still weiter den eisigen Pfad hinauf.
„Aber es ist so kalt! Außerdem schwitze ich so…“, nervte Ryoma weiter.
„Jetzt benimm dich nicht wie ein kleines Kind!“, fauchte Oto Ryoma an. Dieser wurde darauf still und bewegte sich zu Ginta, der sich etwas weiter vorne befand. Es schien für Oto so, als würden die zwei immer schneller laufen. Was auch stimmte.
„Hey!? Lasst mich nicht zurück!“, brüllte sie nach vorne. Ginta sah sich nach ihr um und antwortete: „Dort oben ist ein Haus! Da brennt Licht! Beeile dich, Oto!“
„Ein Haus?“, wunderte sie sich und rannte los. Je näher sie den Jungs kam, desto klarer wurde es. Dort oben war wirklich ein kleines Häuschen, in dem Licht brannte. Schnaufend und keuchend rannten die drei dem Häuschen entgegen und als sie ankamen, fing ein großes, erleichtertes Stöhnen an.
„Endlich ein warmes Haus!“, gab Ginta von sich und klopfte gegen die Holztür. Auch Oto und Ryoma freuten sich darüber, endlich ein Haus erreicht zu haben. Als keine Antwort kam und Ginta noch mal, aber etwas fester an die Tür klopfte, ging diese von allein auf.
 Du hast sie kaputt gemacht!“, warf Ryoma ihm gleich vor.
„Ach was…“, meinte Oto und öffnete die Tür weiter. „Jemand zu Hause?“
Wieder kam keine Antwort.
„Mir ist kalt… Gehen wir rein. Der Besitzer dieses Hauses wird sicherlich bald kommen“, bemerkte Oto zuversichtlich. Die anderen beiden nickten nur und traten ein. Vor ihnen lag ein kleines Zimmer mit Bett, Schreibtisch, einem Kamin und einem riesigen Regal, das bis auf den letzten Platz voll gestopft mit aller Art Bücher war. Es gab noch zwei kleine Nebenzimmer, in die unsere Helden aber nicht hineinschauten. Sie saßen auf dem Boden vor dem Kamin, trockneten ihre Kleidung, die durch den Schnee nass wurden und wärmten sich an dem schönen Kaminfeuer. Leider loderte es nicht mehr allzu stark, weswegen Ryoma noch ein paar Holzscheite nachlegte. Entspannt und neugierig ging Ryoma durchs Zimmer und sah sich alles an. Offenbar besaß der Besitzer des Hauses wenige Dinge, bis auf die Bücher, die Ryoma jedoch nicht interessierten.
„Wer hier wohl wohnt?“, fragte sich Oto.
„Ich denke mal, ein begeisterter Leser“, antwortete Ginta prompt. Jetzt fehlte nur noch ein heißes Getränk und die Situation wäre perfekt gewesen. Gemütlich streckte sich Ginta und gähnte leicht.
„Du bist doch nicht schon müde? Ich hätte gedacht, du wolltest so schnell wie möglich zur Spitze?“, lachte Oto.
„Es lief halt ein wenig anders als geplant. Ich wusste ja gar nicht, dass wir so schnell auf einen Unterschlupf treffen.“ Ginta machte es sich auf dem Boden gemütlich. Als Ryoma an der Tür vorbeilief, hörte er Schritte die von draußen kommen.
„Psst, seid mal leise“, flüstere Ryoma. Ginta und Oto, die ohnehin schon leise waren, sahen ihn nur überrascht an. Der Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt und es klimperte ein wenig.
„Das muss wohl der Besitzer des Hauses sein…“, flüstere Ryoma weiter. Er bückte sich und versuchte, durch das Schlüsselloch zu schauen. Doch das wurde ihm zum Verhängnis, denn plötzlich wurde die Tür aufgerissen und gegen Ryomas Gesicht geschlagen, der daraufhin nach hinten torkelte.
„Was ist denn hier los!?“, brüllte eine fremde Stimme.